Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Holdseligen bezeichnen, welche die Giotto-Schule überhaupt erreicht habe«. Selten habe ich mich dem Anblick von Kunstwerken so ungestört und in so harmonischer Umgebung hingeben können wie hier diesen drei Orcagnas gegenüber. Der Kirchendiener, anderweitig beschäftigt, verabschiedete sich bald und versprach nur, wiederzukommen. So saß ich allein in der zehn, zwölf Stufen hoch gelegenen Kapelle und sah, wie von einem Balkon aus, durch das Gitterwerk der geschlossenen Tür auf den ganzen Mittelteil der Kirche nieder, drin die Andächtigen und die Neugierigen, die Stabilen und die Beweglichen und, was die Frauenwelt angeht, die Beterinnen und solche, die nur angebetet sein wollten, unschwer zu erkennen waren. Welche unter den beiden letztgenannten Gruppen vorherrschte, wird der Leser ebenso leicht erraten. Einige der Jüngeren und Jüngsten waren schön, so schön, daß die Platenschen Verse:
Und hat das florentinische Mädchen nicht
Von frühester Jugend liebend emporgestaunt
Zur Venus Tizians, und tausend
Reize der Reizenden weggelauschet,
wohl von ihnen gelten durften; die Mehrzahl aber schaute aus wie andre mehr und konnte mich nicht dauernd abziehen von den Gestalten Orcagnas, die vor allem eine Erhabenheit ausdrückten, von der die Welt da unten auch keine Spur aufzuweisen hatte.
Nach einer Viertelstunde oder länger öffnete sich wieder die Gittertür, und ohne daß ein Wort gewechselt worden wäre, folgte ich meinem Führer, erst treppab, dann das Seitenschiff hinunter, bis wir durch ein schmales gotisches Portal auf einen Klosterhof traten. Die Mittagssonne glitzerte über den Rasen hin und drang mit ihrer Wärme auch bis in den mit Reliefs und Bildern reich geschmückten Kreuzgang vor. Als wir eine bestimmte Stelle erreicht hatten, bog der Führer rechts, öffnete ein prächtig gegliedertes Tor und sagte nur: »Cappella degli Spagnoli.« Dann empfahl er sich abermals, um seinem Kirchendienste nachzugehen. Diese kurze Vorstellung genügte vollkommen. Ich hatte jetzt den Namen der Sache, wußte also auch, mit Hilfe von Förster und Baedeker, die grün und rot aus meinen Seitentaschen emporwuchsen, wo ich nach Weiterem zu suchen hatte. Der Leser wolle übrigens keine Zitate befürchten. Es wird sich großenteils um Eindrücke handeln, die ich empfangen.
Die Cappella degli Spagnoli ist eine Berühmtheit innerhalb der Kunstgeschichte insoweit, als sie eine vorzügliche Gelegenheit bietet, eine Anzahl hervorragender Werke der Giottoschen Schule, und zwar alle wohlerhalten, kennenzulernen. Über die Namen derer, die hier, künstlerisch schaffend, etwa ein Vierteljahrhundert lang tätig waren, gehen die Meinungen auseinander; in der Regel werden Taddeo Gaddi und Simon von Siena genannt. Gleichviel! Auf den Gesamtinhalt des von ihnen Dargestellten eingehen zu wollen hieße ein Buch schreiben. Nur der beiden Hauptbilder möge hinsichtlich ihres Gegenstandes wie ihrer Komposition eine kurze Erwähnung geschehen. Zur Linken, die ganze Wandfläche füllend, sehen wir eine Art Apotheose des Thomas von Aquin, der, von Engeln und Propheten, von Evangelisten und Heiligen umgeben, die Mitte des Bildes einnimmt. Zu seinen Füßen überwundene Ketzer: Arius, Sabellius und Averrhoes. Hinter ihm, wie ein mächtiger Schirm, der ihn schützend umgibt, vierzehn weibliche und männliche Gestalten, von denen jene ebenso viele Tugenden und Wissenschaften, diese die Porträts solcher Berühmtheiten darstellen, die sich in ebendiesen Tugenden und Wissenschaften ausgezeichnet haben. – Bedeutender noch oder seinem Inhalte nach interessanter ist das gleich große Wandbild zur Rechten: »Die streitende und die triumphierende Kirche«. Papst und Kaiser, als oberste Schirmherren, sitzen auf einem Thron; Bischöfe und Kardinale um sie her. Hunde in Dominikanerfarben (italienisch: Domini cani) verjagen ketzerische Wölfe. Dominikus selbst zeigt, über der Kirche hin, den Weg zum Heil; Petrus aber empfängt die Begnadigten und öffnet die Pforte des Himmels, in welchem Christus in der Glorie von Engeln thront. Im Vordergrund des Bildes, nur in loser Beziehung zu demselben, Florentiner Gestalten aus Anfang und Mitte des 14. Jahrhunderts: Petrarca, Laura, Boccaccio, Fiametta, Cimabue, Taddeo Gaddi und der Maler selbst: Simon von Siena. Ein in vier Schichten oder Stufen aufgebautes Kolossalbild: die Wirkung überwältigend. Der unmittelbare Eindruck, den die Sinne in dieser Kapelle überhaupt empfangen, ist etwa der, als träte man
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