Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
in ein mächtiges, aus lauter Teppichen bestehendes Zelt. Nirgends ein leerer Fleck, und in dieser Beziehung vielleicht einzig dastehend unter den vielen verwandten Bauten, die das kirchen- und klosterreiche Italien bietet. Selbst in der Sixtina bleiben breite Wandstreifen, an denen sich die Paneelierungen hinziehen, frei. Hier aber ist alles Farbe, Bild.
Sagen zu wollen, daß dieser unendliche Erscheinungsreichtum, dem man es abfühlt, daß er sich unschwer hätte verdoppeln können, eine volle künstlerische Erhebung schüfe (die ich nun mal für mein Teil von einer poetischen nicht trennen kann), wäre Unwahrheit. Vielleicht hindert schon die bloße Fülle nebeneinandergestellter und gleichberechtigter Gestalten daran. Es fehlt die Innigkeit, und so werden denn vor diesen mächtigen Wandbildern keine Empfindungen geweckt, wie etwa vor dem Weltgericht Orcagnas oder vor der Assunta Tizians oder vor dem an den Marterpfahl gebundenen Sankt Sebastian Domenichinos. Wir stehen vielmehr wie vor modern-historischen Bildern. Trotz alles künstlerisch allegorischen Apparats, der in Szene gesetzt wird, ist es doch das Zeitgeschichtliche, der Tageshergang, der vornehmlich das Interesse weckt. Diesen Tageshergang bildeten damals die Kämpfe und der Sieg des Dominikanertums. Bilder wie diese waren also, bis zu einem gewissen Grade, die Huldigungs- und Krönungsbilder von damals; neben dem Zeitgeschichtlichen und Staatsaktionsartigen trat bereits auch das Porträt-Interesse erheblich mit in den Vordergrund. Wie immer aber auch dem sein möge, unter allen Umständen sind Schöpfungen wie diese nur dazu angetan, uns mit einem tiefen und nicht ganz neidlosen Respekt vor einer Zeit zu erfüllen, die statt der Kritik nur die Freudigkeit am Schaffen kannte und unbeirrt von Zeitungsstimmen und Zulässigkeitsfragen die ganze Ästhetik in Herz und Hand hatte. Uneingeschüchtert durch die gespenstische Schattenwelt der »Erwägungen«, stellte sie Allegorisches und Historisches, Kirchliches und Weltliches, Erhabenes und Satirisches scharf nebeneinander, stieg in den Himmel auf und aus ihm nieder (die wahre Freizügigkeit) und spannte nach allen Seiten hin die Brücken zwischen Gott und seiner Schöpfung. Aller Reflexionsmisere fremd, war die Kunst innerlich frei und feiert ihren allergrößten Triumph vielleicht darin, daß sie auch uns Nachgeborene noch an dem süßen Gefühl dieser Freiheit teilnehmen und uns all unsere Fragen und Bedenken in dem Fait accompli solcher Schöpfungen begraben läßt. Man folgt diesen Betätigungen künstlerischer Freiheit mit derselben wohligen Empfindung etwa, mit der man, in Gesellschaft, den Bewegungen und Worten eines vornehmen und reich beanlagten Menschen folgt, der, in völliger Zwangslosigkeit sich gebend, zugleich in jedem Augenblicke sich selber Gesetz ist. Die Frage nach dem Erlaubten existiert für ihn nicht; er handelt in Gemäßheit seiner Natur, und indem er dieser gehorcht, erobert er die Herzen fast ohne Wissen und Wollen. Unsere moderne Kunst entbehrt dieser Freiheit. Sie kommt aus der Tanzstunde, hat eben den Knicks gelernt und wirkt nur allzu häufig ernüchternd, weil sie beständig von der Frage beherrscht wird: »Werd ich auch nicht anstoßen?«
Eine halbe Stunde mocht ich, unter Betrachtungen wie diese, in der Cappella degli Spagnoli verweilt haben; dann öffnete sich abermals das Gitter, und durch allerhand Kreuz- und Klostergänge hin trat ich wieder ins Freie. Straßen und Plätze waren belebter noch als zuvor, und die vornehme Welt von Florenz, darunter auch die Offiziere der Garnison, entfaltete ihre winterliche Kleiderpracht. Viele trugen Pelze.
Unter Hin- und Herschlendern verging der Nachmittag, und schon zog es mich zu kurzer Rast in die Stille meiner Schweizer-Pension zurück, als ich mich plötzlich wieder auf dem Kirchplatze vor Santa Maria Novella sah und aller Abgespanntheit zum Trotz den Wunsch in mir aufsteigen fühlte, noch einmal einen Blick auf den Masaccio zu werfen, der am Vormittage einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte. »Nur einen Augenblick«, so beschwichtigte ich meine eigne Müdigkeit und trat ein.
Der Moment des Eintretens war auch der einer Enttäuschung. Die ganze erste Hälfte des Langschiffes lag im Dunkel, zumeist der Eingangspfeiler, der das Bild trug. Ein Bedauern darüber konnte indes nicht aufkommen, denn eine glänzende Abendfeier, die den Vormittagsgottesdienst weit in Schatten stellte, war eben auf ihrer Höhe. Dicht gedrängt
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