Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
der Rückreise noch sehlustige Augen zu haben.
Der Zug hatte, trotz Glatteis, seine Zeit gehalten, und um 6 Uhr fuhren wir in den halb dunklen und beinah menschenleeren Bahnhof ein. Casa Nardini, die uns sechs Wochen vorher einfach, aber gut beherbergt hatte, war besetzt, und die Pension Suisse nahm uns statt ihrer auf, ein in allerbester Gegend gelegenes Hôtel garni, das neben den Vorzügen dieser seiner Lage (in Via Tornabuoni, dem Palazzo Strozzi fast gegenüber) nur einen kleinen struwwelpeterhaften Oberkellner aus Altenburg und einen beständig unter Absinth stehenden Portier aufzuweisen hatte. Wir absolvierten rasch die übliche Gasthausunterhaltung, schoben uns todmüde unter die kümmerlichen, kaum für Sommerverhältnisse ausreichenden Decken und standen am anderen Morgen, mehr durch eine frisch gehende Brise als durch unsern sehr unkompletten »the complet« erquickt, in der Haustür des Hotels, um unsere Wanderschaft anzutreten. Zunächst nach der Mediceer- Kapelle.
La Cappella Medicea, die einen Anbau der San-Lorenzo-Kirche bildet, gehört zu jenen Sehenswürdigkeiten, die selbst in guten Reisehandbüchern nicht immer mit wünschenswerter Klarheit behandelt werden. Einzelne dieser Beschreibungen unterlassen es, als allerwichtigsten Punkt in den Vordergrund zu stellen, daß es zwei, übrigens verhältnismäßig nahe beieinander gelegene, Kapellen gibt und daß man aus ebendiesem Grunde zwischen einer großen und einer kleinen Cappella Medicea zu unterscheiden hat. Jene, die »Große Kapelle«, ist ein sechs- oder achteckiger, mit dem kostbarsten Gestein, mit Jaspis, Achat und dunklen Marmorplatten bekleideter Kuppelbau, der immerhin an das römische Pantheon erinnern darf; diese, die »Kleine Kapelle«, entbehrt dieses unmittelbar Imponierenden durchaus und ist vorzugsweise durch eine Anzahl Skulpturen Michelangelos berühmt geworden. Ebendieser ist auch der Erbauer der Kapelle selbst. Der Menschen Liebe und Bewunderung ist von jeher dieser letzteren zugefallen – neben ihren Bildwerken auch ihrer Architektur –, und während der große Kuppelbau sich Mal auf Mal mit dem Zugeständnis einer »plumpen Pracht« hat begnügen müssen, richtete selbst ein so ruhiger Beurteiler wie Jakob Burckhardt Worte unbedingter Anerkennung an die »Kleine Kapelle«. »Sie ist«, so etwa schrieb er, »ein leichtes, herrliches Gebäude, welches das Prinzip der Brunelleschischen Sakristeien auf das geistvollste erweitert und erhöht. Es ist nicht bloß die reinere und vollständigere Handhabung einer untern und obern Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des 16. Jahrhunderts im Verhältnis zum 15. klarmacht, sondern vor allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse.« Soweit Burckhardt. Dies zu bestreiten kann mir nicht in den Sinn kommen; nur einer entgegenstehenden Empfindung – entgegenstehend insoweit, als sie für die »plumpe Pracht« des rivalisierenden Kuppelbaues unwillkürlich eintritt – möchte ich an dieser Stelle Ausdruck geben. Die »Große Kapelle« nämlich ruft neben dem Eindruck des Ernst-Feierlichen, den sie in erster Reihe macht, doch zugleich auch ein gewisses Behagen hervor, das seine Ursache in den satten Farben, in wohliger Wärme und in einem Gefühl des Geborgenseins hat, während man in der durchweg, also in Wänden, Pfeilern und Skulpturen gleichmäßig marmorweiß und marmorkalt gehaltenen »Kleinen Kapelle« nur jenes fröstelnde Unbehagen empfindet, mit dem man an Novembertagen in unseren norddeutschen kahlen Leichenhallen zu stehen und die Worte, die sich an den Toten richten, bang zu zählen, auch wohl dem Gedanken: » Ihm ist wohl, er friert nicht « flüchtig Raum zu geben pflegt. Wenn es nun auch freilich zweifellos ist, daß Architekturfragen nicht von den jeweiligen Temperaturgraden abhängig gemacht werden sollen, so möchte ich doch vermuten, daß die »Kleine Kapelle« mich auch bei Junihitze kalt gelassen haben würde. In ihrer Farblosigkeit mehr oder minder nüchtern, in ihren Verhältnissen, schön wie dieselben sein mögen, doch immerhin nicht überwältigend, tritt sie in allem, was unmittelbaren Eindruck auf unsere Sinne oder sage ich lieber auf die Sinne eines Laien angeht, hinter die große Kuppel-Kapelle zurück. Erst eine eingehendere, ernst-liebevolle Beschäftigung mit ihrem wunderbaren Detail, das im übrigen unfähig bleibt, die voraufgegangene erkältende Wirkung völlig wieder auszulöschen, führt uns zu der Erkenntnis ihrer Schönheit und
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