Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
wir fuhren, war von jungen Silberpappeln eingefaßt, und als diese kurze Chausseestrecke hinter uns lag, begann die Stadt selbst, deren erstes Haus, nicht weitab zu unsrer Linken, auf einer kleinen Anhöhe lag. Ein Tischler wohnte darin. Das Strohdach des Hauses hing weit herab und ließ den Lehm- und Fachwerkbau mit seinen Fensterchen nur undeutlich erkennen, aber neben dem Hause zog sich ein Hof- und Gartenstreifen, und auf einem den Garten durchschneidenden und allmählich ansteigenden Wege stand ein Sarg, der, weil eben mit einem frischen Lack gestrichen, hell in der Abendsonne blinkte. Das war der Empfang. Ich erschrak in meinem Kinderherzen und wies scheu darauf hin, aber mein Vater wollte von Angst und schlechter Vorbedeutung nichts wissen und sagte: »Sei nicht so dumm. Das ist das Beste, was uns passieren kann. Das ist, wie wenn einem eine Karre mit einem toten Pferd darauf begegnet, und das hier ist noch besser. Das tote Pferd bedeutet immer bloß Geld, aber ein Sarg bedeutet Glück überhaupt. Und bei allem Respekt vor Geld, Glück ist noch besser. Glück ist alles. Wir werden also hier Glück haben. Nicht wahr, Herr Wolff? Glück sag ich. Und Sie auch.« Herr Wolff nickte. Übrigens hatte mein Vater ganz recht prophezeit. Es ging uns gut hier, und was mitunter anders aussah, daran war das Glück nicht schuld, das tat, umgekehrt, sein Möglichstes für uns.
Mit dem Tischlerhause begann die Stadt, aber mir wollte es noch immer nicht so vorkommen, als führen wir schon wirklich in eine Stadt hinein. Ein Tor war nicht da, Pflaster auch nicht, Menschen auch nicht. Der Abstand zwischen den Häuserreihen links und rechts war unendlich breit und jedes Haus klein und häßlich, viele noch mit Strohdach. Ein Glück, daß die meisten einen Giebel hatten, der mit einer Flaggenstange zu Häupten aus dem eigentlichen Frontdach herauswuchs. So mahlten wir im Sande weiter, bis wir nach Passierung etlicher Querstraßen einen großen, merkwürdig geformten Platz erreichten, halb kahl, halb hoch im Gras stehend, ganz nach Art einer dörfischen Gänsewiese. Auf diesem völlig ungepflegten Platze, der, wie uns etliche auf hohen Böcken liegende Baumstämme zeigten, zugleich auch als Holzsägeplatz diente, ragte ein scheunenartiger Bau mit hohen Fenstern auf: die Kirche. Dieser gegenüber und nur durch die Straßenbreite von ihr getrennt, stand ein mit Feuerherds-Rot gestrichenes Haus, dessen endlos aufsteigendes Dach wohl fünfmal so hoch war als das Haus selber. Drei, vier umherstehende, von einem Holzgitter eingefaßte Kastanienbäume ließen, außer dem hohen Dache, wenig erkennen. Zwischen Haus und Kirche aber hielt jetzt unser Wagen, und mein Vater, der mein verlegenes Gesicht sehen mochte, sagte mit aufgesteifter Heiterkeit: »Da sind wir nun also. Gott segne unsern Eingang. Hier gleich das erste Zimmer rechts, Herr Wolff, das ist das Ihre.« Herr Wolff verbeugte sich, schien aber noch verwunderter als ich. Nur der Amme war nichts anzumerken.
Ein paar Personen, die bestimmt waren, vorläufig wohl oder übel den Hausstand zu führen, standen an der mit beiden Flügeln geöffneten Haustür und kamen uns etwas verlegen entgegen. »Ein Abendbrot ist doch wohl da«, sagte mein Vater, und ehe wir noch darüber beruhigt waren, traten wir auch schon in einen gelbgestrichenen, mit Mauersteinen gepflasterten Flur, der durch die ganze Tiefe des Hauses lief. Auch das berührte mich ganz eigentümlich. Zum Glück aber war, von Anfang an, immer etwas da, was mit dem Rohen und Unkultivierten wieder versöhnen mußte. So gestattete mir der gepflasterte Flur, weil seine Hintertür weit offenstand, einen Blick in den Garten und auf den Abendhimmel, an dem eben die schmale Mondsichel sichtbar wurde. Das blasse Licht derselben fiel auf eine Geißblattlaube, vor deren halbüberwachsenem Eingang eine ziemlich junge Tanne stand. Dieser Anblick erfüllte mich mit etwas wie Hoffnung, und diese Hoffnung trog auch nicht. Es war ein wunderbar schönes Leben in dieser kleinen Stadt, dessen ich noch jetzt, wie meiner ganzen buntbewegten Kinderzeit, unter lebhafter Herzensbewegung gedenke.
Wir setzten uns bald nach Eintritt in unser Haus zum Abendbrot nieder. Für uns Kinder war es Milchsuppe, für gewöhnlich nicht mein Geschmack. Ich aß aber ein gut Teil, und mein Vater sagte schmunzelnd: »Das ist recht. Wer lange suppt, lebt lange. Nur nicht kiesetig. Und überhaupt, es wird uns hier schon gefallen. Wenn es nur Mama gefällt. Der verdammte
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