Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Seite seines Herrn, verlegen, aber doch auch mit einem Ausdruck von Stolz und Freude, und seine klugen Augen schienen zu sagen: »Hier bin ich; ich, Hektor, Freund meines Freundes Lewin. Ich weiß, daß es ernst wird, und weil ich es weiß, will ich mit dabei sein.«
Der sich zuerst faßte, war Berndt; er bückte sich nur, um dem Schuldigen mit dem Zeigefinger zu drohen. Als er sich dann wieder aufrichtete, richtete sich auch der Hund auf und legte seine Vorderpfoten auf seines Herrn Schulter; so standen sie und sahen einander an.
»Pst, Hektor«, flüsterte Berndt und klopfte und streichelte das treue Tier. Dieser aber, als er sich so zu Gnaden angenommen sah, fuhr in leidenschaftlicher Erregung in seines Herrn Bart und Haar umher und nickte und wedelte nur immer, um zu zeigen, daß er alles wohl verstanden habe. Dann endlich ließ er ab von ihm.
Die Bretter waren inzwischen hervorgezogen worden und wurden nun von der einen Seite her eingestemmt. Aber es wollte mit dem Schieben nicht glücken. Das am Tage durchgesickerte Schneewasser war unten mit der Flußdecke zusammengefroren, und so mußten denn die Spaten herbeigeholt werden, um durch Abstechen das Eis wieder zu lösen. Und nun endlich war es geschehen, und die Masse setzte sich in Bewegung, erst langsam, dann immer rascher, bis sie zuletzt den weichen Schnee beiseitedrängte und am Fuße des Bastions feststand. Was der Westwind höher hinauf an die Schrägwand geweht hatte, das fiel jetzt herab, ein weiches Polster über der Schneemauer bildend. Und nun kletterte der junge Scharwenka, der der Flinkste und Geschickteste war, hinauf und zog die Strickleine nach sich, während sich die vier anderen zu beiden Seiten der Mauer niederkauerten. Krist hielt Hektor am Halsband; Pachaly war bei den Schlitten geblieben.
Alle sahen erwartungsvoll nach der Uhr. Noch fünf Minuten. In jedem Augenblick konnt’ es oben auf dem Schloß zum Schlagen einsetzen.
Und jetzt schlug es wirklich. Lewin riß das Fenster auf, zählte bis zwölf, und im selben Augenblicke warf er das Knäuel, dessen loses Ende er um die linke Hand geschlungen hatte, mit der Rechten über den Rand des Bastions. Er hörte, wie es aufschlug; und nun wickelte sich’s ab. Eine kleine Weile noch, dann sah er, daß sich die dünne Hanfleine zu straffen anfing. Die Strickleine mußte also von den Freunden unten angeknotet worden sein. Und nun begann er mit aller Kraft zu ziehen. Aber eben jetzt kam ein französischer Wachtposten in Sicht, um seinen vorgeschriebenen Weg von Eck zu Eck zu machen. Er war schon dicht heran; hielt er sich in Nähe des Fensters, so ging das Bajonett unter der Leine weg, hielt er sich aber mehr rechts am Rande des Bastions hin, so traf er die Leine. Lewin war schon darauf gefaßt, sie fallen lassen zu müssen, und dann blieb nur noch der Sprung. Aber der Posten schritt, eine Melodie summend, hart an dem Unterbau des Weißkopfs vorbei.
Das Eck, an dem er wieder kehrtmachen mußte, lag hundertfünfzig Schritt entfernt. Lewin berechnete sich, daß er zwei Minuten habe. Also schnell. Er zog jetzt rascher und heftiger noch als zuvor, und nun hielt er die Strickleine in seinen beiden Händen. Aber wo sie befestigen? Das Fensterkreuz war viel zu morsch, so schlang er sie, da nichts Besseres da war, um den Fuß der Bettstelle und schob diese, um ihr mehr Halt zu geben, bis an den Fensterpfeiler vor. Und nun hinaus. Draußen warf er sich nieder, kroch bis an den Rand des Bastions und packte den Strick. Und nun noch ein kurzes Stoßgebet, und dann vorwärts und hinab! Als er bis über die Mitte war, brach der Bettfuß, an dem oben die Leine befestigt war, ab oder ging aus den Fugen, aber es waren keine sechs Ellen mehr, und so glitt er an der mit Schnee bedeckten Schrägung ohne Fährlichkeit hinunter. Die ganze Niederfahrt war nur um ein paar Sekunden beschleunigt worden.
Er war gerettet, und ein seliges Gefühl wiedergewonnenen Lebens durchdrang ihn, als er sich aus den lockeren Schneemassen herauswühlte. Was noch an Gefahr da war, war keine Gefahr mehr; ein Schuß in die Nacht hinein hatte nicht viel zu bedeuten.
Und jetzt fiel wirklich der erste Schuß. Ein Hurra unten antwortete; alles schwenkte die Mützen, und Hektor, der sich jetzt rühren durfte, sprang an seinem jungen Herrn in die Höhe und fuhr ihm mit der Zunge liebkosend und freudekeuchend über Hand und Gesicht. »Laß, laß!« Aber ehe er noch gehorchen konnte, krachte von oben her eine ganze Salve in das Dunkel
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