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Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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häßlich, aber die zurückliegenden, etwas unheimlichen Augen glühten wie Kohlen und machten, daß man das Kind bemerken mußte.
    Es war ein sehr glückliches und ein sehr unglückliches Kind. Der alte »Rat«, ein so sonderbarer Heiliger er war, war in vielen Stücken von außerordentlicher Güte gegen die Tochter, und während er sie zu Hause vernachlässigte, schickte er sie doch in eine ganz feine Schule, wo nur reiche Bourgeoiskinder und adlige Fräuleins vom Lande, die sich bei der Inhaberin der Schule zugleich in Pension befanden, anzutreffen waren. Zwischen diesen saß sie dann wie Aschenputtel. Unter Ungütigkeit hatte sie jedoch nie zu leiden, im Gegenteil, es war eine Art Komment, sich ihrer anzunehmen. Sie fühlte den Unterschied dieser beglückten Existenzen und ihres eigenen Lebens und hatte das brennende Verlangen, auch einmal in einem guten Hause zu sein. Und siehe, dies Ersehnte schien sich ihr auch verwirklichen zu sollen; eine reiche Holzhändlerstochter, deren Gunst oder Teilnahme sie sich zu gewinnen gewußt hatte, lud sie zu ihrem Geburtstage ein, und der Eingeladenen Herz schwoll nun in unendlichem Glück. Aber leider traf es sich so, daß das schon an der ersehnten Glückspforte stehende Kind gerad am Tage vorher auf dem zur Schule führenden Wege wie wahnsinnig umherjagte und bei der Gelegenheit, sei’s aus Versehen, sei’s aus Übermut, eine sehr sauber gekleidete Mitschülerin in eine Baugrube stieß, eine Szene, die seitens der holzhändlerischen Geburtstagsmutter von ihrem Blumenfenster aus beobachtet worden war. »Ich bitte mir aus, daß du dies furchtbare Balg nicht etwa mit in deine Geburtstagsgesellschaft bringst.« Und die Tochter mußte die Zurücknahme der Einladung am andern Morgen ausrichten. Meine Frau hat mir oft erzählt, dies sei die größte Kränkung ihres Lebens gewesen; so arm, so elend, so ausgestoßen sei sie sich nie wieder vorgekommen. Dies war also der schlimmste Fall. Aber ähnliches, wie das hier Erzählte, kam doch nicht selten vor, und deshalb fühlte sich das arme, früh elternlose Kind oft recht unglücklich. Trotzdem indessen war sie mit Hülfe großer Elastizität und noch größerer Phantasie doch auch wieder glücklich, ja vorwiegend glücklich, und wartete, wenn der Sturm vorüber, heiter und mit einer Art Sicherheit auf ihren Prinzen. Auf Abschlag nahm sie mich.
    Ich sagte, daß ich mich, als ich das von allem Herkömmlichen so stark abweichende schwarzäugige Kind sah, eigentlich gleich in sie verliebt hätte. Vielleicht hätte sie dies Gefühl auch erwidert, wenn nicht, und zwar als Mitpensionär in meines Onkels Hause, mein Freund Hermann Scherz (von dem ich in einem früheren Abschnitte – »Bei Kaiser Franz« – bereits erzählt habe) gewesen wäre. Der war mir um ein Jahr voraus, hatte schon einen kleinen schwarzen Schnurrbartansatz und spielte sich überhaupt auf den Petitmaître aus. Vor allem benahm er sich artiger und verbindlicher als ich. Denn wenn ich mich auch für das Kind ganz entschieden lebhaft interessierte, so blieb es doch immerhin ein Kind, noch dazu ein sehr sonderbares, und ein bißchen Konventionalismus steckte mir, neben einem gleichzeitigen ganz entgegengesetzten Herzenszuge, wohl auch schon damals im Geblüt. Mein Freund Scherz dagegen, um es zu wiederholen, war ganz Kavalier, immer gehorsam und zugleich immer geneigt, auf die Tollheiten und Wünsche des Kindes und einer gelegentlich zu Besuch kommenden Spielgenossin einzugehen. Zu diesen Tollheiten gehörte, daß er mit den beiden Mädchen »Schlitten fahren« mußte, wenn man die ganze, ziemlich groteske Prozedur so nennen konnte. Denn das Schlittenfahren, um das sich’s handelte, war etwas sehr Primitives. Zugleich echt berlinisch. Mit Hülfe der damaligen Rinnsteingossen, drin alle Schrecknisse des Haushalts umgestülpt zu werden pflegten, kam es nämlich in Wintertagen vor, daß die ganze Straße das Ansehn einer großen, allerdings wunderlich ornamentierten Schlitterbahn annahm, und diese kühn auszunutzen, alle »Hindernisse zu nehmen«, darauf kam es an. Das hieß dann »Schlittenfahren«, und Freund Scherz war dabei nie säumig. An die Hinterzipfel seines Schlafrockes hingen sich die beiden Mädchen zunächst an, und nachdem sie sich niedergehuckt hatten, setzte sich mein Rival als Schlittenpferd in Gang und jagte mit beiden die ganze Hamburger Straße hinunter und wieder hinauf. Ich wurde dann verhöhnt. »O, der hält sich für zu gut, der spielt den

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