Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
sich die Haare zu kräuseln, aber sie war keine Griechin. Ich erinnerte mich, dass sie perfekt Latein gesprochen hatte, und daher sprach ich automatisch Latein.
    Sie starrte mich weiter an.
    Ich behielt den scherzhaften Ton bei. »Ihr Pseudonym stammt aus einer grausamen Sage. Kennen Sie die? Tereus, König von Thrakien oder irgendeiner anderen Gegend mit abscheulichen Gewohnheiten, begehrt seine Schwägerin, vergewaltigt sie und schneidet ihr die Zunge raus, damit sie ihn nicht verpetzen kann. Philomela verrät es ihrer Schwester Prokne jedoch mittels einer Webarbeit – und dann verbünden sich die Schwestern gegen Tereus. Sie servieren ihm seinen Sohn zum Abendessen …« Schon wieder dieser abgeschmackte griechische Kannibalismus! In klassischen Zeiten daheim zu Abend zu essen muss eine Menge Mut gekostet haben. »Dann verwandeln die Götter alle in Vögel. Philomela ist die Schwalbe, in griechischen Gedichten. Sie hat ihre Zunge verloren. Schwalben piepsen nicht. Römische Dichter vertauschten die Vögel aus Gründen, die sich jeder Logik entziehen. Wenn Sie glauben, sie sei eine Nachtigall, dann zeigt das, dass Sie Römerin sind.«
    Die Frau hörte mich bis zum Ende an und sagte dann barsch: »Sie sehen nicht aus wie ein Mann, der sich mit Legenden auskennt.«
    »Stimmt. Ich habe meine Frau danach gefragt.«
    »Sie sehen nicht aus wie ein Mann mit einer Ehefrau.«
    »Stimmt nicht! Ich habe sie erwähnt. Momentan betrachtet sie Kunst.«
    »Sehr vernünftig. Wenn ihr Mann reist, reist sie mit, um ihn keusch zu halten.«
    »Kommt ganz auf den Mann an. Oder, wichtiger noch, auf die Frau.« Ich hatte es anscheinend mit einer Männerhasserin zu tun. »Ihre Tugenden zu kennen hält mich keusch. Und was Legenden betrifft, ich bin Privatermittler.« Es war an der Zeit, ihr das unter die Nase zu reiben. »Ich habe es mit Ehebruch, Vergewaltigung und Eifersucht zu tun – aber in der realen Welt und mit unbestreitbar menschlichen Mördern … Woher stammen Sie, Philomela?«
    »Aus Tusculum«, gab sie widerstrebend zu. Nicht weit von Rom. Die Familie meiner Mutter, die in Kampanien Gemüse anbaute, würde schnauben. Diese Mystikerin mit den glasigen Augen würde sie nicht überraschen. Meine Onkel meinten, Leute aus Tusculum seien alle leere Hülsen. (Da ausgerechnet meine verrückten Onkel Fabius und Junius das behaupteten, war das ganz schön krass!)
    »Und wie lautet Ihr wirklicher Name, Ihr römischer Name?« Darauf erhielt ich keine Antwort. Vielleicht spielt es keine Rolle, dachte ich – fälschlicherweise, wie üblich.
     
    Philomela musste bereits oben beim Stadion gewesen sein. Sie blickte jetzt hinter mich, hätte sich gern vorbeigequetscht und ihren Weg bergab fortgesetzt. Der Pfad war schmal, und ich blockierte ihn.
    »Reisen Sie allein?« Sie nickte. Das war ungewöhnlich für eine Frau von jeglichem Status, und ich ließ mir mein Erstaunen ansehen.
    »Ich bin mal mit einer Gruppe gereist!« Ihr Ton war ätzend.
    »Oh, ganz schlechte Wahl!« Mein Ton war ebenfalls säuerlich, doch uns verband keine Komplizenschaft.
    Wer war sie? Ihr Akzent klang aristokratisch. Ihre gepflegten Hände hatten nie schwere Arbeit verrichtet. Ich fragte mich, ob sie Geld hatte; es konnte gar nicht anders sein. Angesichts ihres Alters hätte sie einst verheiratet sein müssen (sie schien in den Wechseljahren zu sein, was ihr verrücktes Gehabe erklären würde). Gab es Kinder? Wenn ja, brachte sie die bestimmt zur Verzweiflung. Ich hätte wetten können, dass sie geschieden war. Unter ihrem tuntigen Benehmen erkannte ich eine trotzige Spur von Seltsamkeit. Sie wusste, dass die Leute sie für verrückt hielten – und das war ihr vollkommen egal.
    Ich kannte Frauen von ihrem Schlag. Man konnte sie unabhängig nennen – oder eine Landplage. Viele würden sie irritierend finden – Helena zum Beispiel. Bestimmt gab Philomela Männern die Schuld an ihren Missgeschicken, und die Männer, die sie gekannt hatte, würden alle sagen, Philomela habe selber Schuld. Eines war sicher – Gastwirte, Kellner und Maultiertreiber würden sie für leichte Beute halten. Vielleicht war sie das auch. Möglicherweise blieb diese Frau wegen freier Liebe mit Dienstboten in Griechenland und war der Meinung, Griechenland sei weit genug von Rom entfernt, um keinen Skandal zu verursachen.
    Sie beobachtete meine mentale Einschätzung; vielleicht erkannte sie sie als herablassend. Jedenfalls beschloss sie, mir weitere Erklärungen zu geben, die sie

Weitere Kostenlose Bücher