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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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sie zog mir das Herz zusammen. Das Paar musste einem dieser Schnellzeichner erlegen sein, die an Kais und Uferdämmen herumlungern, um das Fahrgeld in ihre Heimatdörfer zusammenzukratzen, wenn ihre Künstlerkarriere gescheitert ist. Die jungen Leute hatten eine Zeichnung von sich gekauft. Sie lehnten aneinander, blickten aber zu den Zuschauern, die rechten Hände ineinander verschränkt, um ihren Ehestatus zu zeigen. Das Bild war nicht schlecht. Ich erkannte ihn. Nun sah ich sie. Valeria Ventidia trug den Mäanderring, den ich in der Hand hielt – ein furchtloses, impertinent wirkendes Mädchen mit schmalen, hübschen Gesichtszügen, wirren Ringellocken und einem direkten Blick, der meinem Herzen einen Stich versetzte. Jetzt wäre sie nicht mein Typ gewesen, doch als ich noch viel jünger war, hätte ihre Selbstsicherheit mich veranlasst, ihr etwas Anzügliches nachzurufen.
    Ich wusste, dass sie tot war, und ich wusste, wie entsetzlich sie gestorben war. Diesem frischen Blick zu begegnen, so selbstsicher und so voller Leben, ließ mich verstehen, warum Statianus den Mann finden wollte, der sie ermordet hatte.
     
    Ich verließ das Zimmer und gab Helena das Porträt. Sie stöhnte leise. Dann lief ihr eine Träne über die Wange.
    Ich knöpfte mir den Wirt noch einmal vor, da ich sicher war, dass er mit etwas hinter dem Berg hielt. Ich fasste ihn nicht an. Das brauchte ich auch nicht. Meine Stimmung war offensichtlich. Ihm war klar, dass er sich zu fürchten hatte.
    »Ich will alles wissen. Alles, was Ihr Mieter gesagt hat, jeden, mit dem er gesprochen hat.«
    »Dann möchten Sie also etwas über seinen Freund erfahren?«
    »Er war mit einem anderen jungen Mann zusammen, als er hier eintraf«, unterbrach ihn Helena ungeduldig. Ihr Daumen strich sanft über das Doppelporträt. »Der junge Mann ist von Delphi nach Athen gereist. Über ihn kann ich Ihnen alles erzählen – er ist mein Bruder.«
    »Ich meine den anderen«, sagte der Wirt mit zitternder Stimme.
    Aha!
    »Statianus hatte hier
noch
einen Freund?«
    »Er kam vor drei Nächten, Falco.«
     
    Der Wirt gab uns eine ungefähre Beschreibung – ein Mann, der mitten im Leben stand, ein Geschäftsmann von durchschnittlichem Aussehen, an Gasthäuser gewöhnt. Es hätte jeder sein können. Es hätte Phineus sein können, doch das verneinte der Wirt. Es hätte einfach jemand sein können, dem Statianus begegnet war und mit dem er sich unterhalten hatte, irgendein Fremder, den er nie wieder sehen würde. Bedeutungslos.
    »Würden Sie diesen Mann als gut gekleidet bezeichnen?«
    »Nein.« Demnach nicht der Mörder aus Korinth – außer er kleidete sich fürs Reisen weniger extravagant.
    »Sah er wie ein ehemaliger Boxer oder Ringer aus?«
    »Er war ein Leichtgewicht. Ein bisschen schäbig, dicker Bauch.« Also auch nicht der Mörder aus Olympia. Falls unterschiedliche Zeugen ihn nicht unterschiedlich wahrnahmen. Wie sie das so oft tun.
    Der Wirt könnte lügen. Der Wirt könnte unachtsam sein (wie Helena es ausdrückte) oder blind (wie ich sagte).
    »Hat er nach Statianus gefragt?«
    »Ja.«
    Also
kein
vorbeikommender Fremder.
     
    Zuerst behauptete der Wirt, er habe nichts von dem Gespräch der beiden Männer mitbekommen. Er gab zu, dass sie zusammen im Gasthaus gegessen hatten. Helena kam auf die Idee, ihn rasch zu fragen: »Wird das Essen von einem Kellner serviert?«
    Er druckste eine Weile herum.
    »Holen Sie ihn!«, brüllte ich.
     
    Der Kellner war schließlich derjenige, der Lebadaia erwähnte.
    »Ich glaube, er ist nach Lebadaia gegangen.«
    »Was gibt es denn in Lebadaia?«
    »Nicht viel.«
    Falsch. Etwas Schlimmes. Etwas sehr Schlimmes.
    Der Kellner hatte gehört, wie Statianus den Namen gesprächsweise erwähnte und sein Begleiter positiv darauf reagierte. Lebadaia sei ein Ort auf dem Weg zu anderen Orten, wollte uns der Kellner zunächst weismachen.
    »Warum sollte Statianus dann dorthin wollen?«
    Dieser lahmarschige Tablettschlepper war ein pummeliger, von Akne entstellter Bursche mit schrägen Augen, Krampfadern und dem sichtbaren Verlangen, für seine Information bezahlt zu werden. Sein Arbeitgeber hatte ihm jede Hoffnung auf Trinkgeld vermasselt; ich war zu wütend. Ich quetschte aus ihm heraus, dass Statianus aufgeregt mit seinem Besucher gesprochen hatte und dabei der Name Lebadaia gefallen war.
    »Kanntest du diesen zweiten Mann?«
    »Nein, aber Statianus kannte ihr. Ich glaube, er kam von dem Reiseunternehmen.«
    »Wie bitte? War es Phineus?

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