Delphi sehen und sterben
einem kurzen Liebäugeln mit ernsthaften Ermittlungen versuchte die Obrigkeit erneut das Problem unter den Teppich zu kehren. Die Tatsache, dass in der Zwischenzeit weitere Menschen umgekommen waren, spielte keine Rolle. »Die Zeit wird es zeigen, Quästor.«
»Nein. Zeit ist genau das, was wir nicht haben, Falco.«
Diese neue Zielstrebigkeit des Quästors erstaunte mich. Zumindest so lange, bis Helena den Grund dafür herausbekam. Der Statthalter war anscheinend von seiner Meilensteinzählerei zurückgekehrt. Seine Residenz machte sich auf einen Ansturm von Verärgerung gefasst. Der Statthalter würde der Meinung sein, seine Angestellten hätten in seiner Abwesenheit den Schlendrian einkehren lassen. Das tun Statthalter immer. Unerwünschte Fragen würden durch die offiziellen Flure poltern wie im Sturm herabstürzende Felsbrocken. Aquillius Macer war von einem Schreiber seines Büros gewarnt worden, sein Arbeitsertrag habe dringend ein verbessertes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu zeigen. Hoffnungslose Fälle wie diese Mordermittlung wurden auf die lange Bank geschoben.
»Kann ich den Statthalter sprechen?«
»Nein, können Sie verdammt noch mal nicht. Ihm ist aufgefallen, wie stark ich Ihretwegen die Kasse belastet habe – und er ist wütend, Falco.«
Also würde ich zukünftig selber bezahlen müssen.
Alles lief falsch. Ich spürte, wie die gesamte Ermittlung über mir zusammenbrach. Selbst Statianus’ Verschwinden erzeugte keinen neuen Auftrieb. Die Schriftrollen mit den Ermittlungsergebnissen wurden in Bibliothekshüllen verstaut. Meine Hoffnungen, eine Lösung zu finden, waren zerstört.
Ich fragte mich, ob man dem Verschwinden von Statianus eines Tages genauso nachjagen würde wie dem des jungen Mädchens Marcella Caesia. Hatte ich die Hoffnung zu früh aufgegeben? Ich hatte geglaubt, die Suche, die wir mit Hilfe der Leute aus Lebadaia durchgeführt hatten, sei gründlich gewesen – aber irrte ich mich da? Würde jemand, der hartnäckiger war, mehr herausfinden? Wenn Statianus aus einer Familie stammte, die so verbissen war wie Caesius Secundus, Caesias Vater, würde vielleicht in einem Jahr ein wütender Verwandter in Griechenland eintreffen und eine auf einem Hügel liegende Leiche finden, die mir entgangen war …
Nein. Es würde keine weitere Suche geben. Ich hatte seine Mutter gesehen und daraus geschlossen, von welcher Art sein Vater war. Seine Eltern wollten sich vor der Tragödie wegducken und nicht bei der Suche nach Antworten den Verstand verlieren. Die einzige Hoffnung des jungen Mannes auf Gerechtigkeit für sich und seine Braut lag jetzt bei mir.
Aber ich erwies mich als nutzlos.
Erschöpft von unserer Seereise und dem Gelaber mit Männern, die meine Sichtweise nicht teilen wollten, nahm ich das Unvermeidbare hin. Die Reisegruppe würde aus dem Hausarrest entlassen werden. Weitere Ermittlungen würden nicht möglich sein.
Helena bekam die volle Wucht meiner Verdrossenheit ab. Wie gewöhnlich ließ sie sich etwas einfallen, um mich ruhigzustellen, wenn sie im Bett lesen wollte. »Da die Reisenden nach Athen gehen, lass uns das doch auch machen. Wenigstens können wir dort nach Aulus sehen – was der eigentliche Grund ist, warum wir hier sind, falls du dich erinnerst. Wir können ihn nach diesem Tutor fragen, der sich da eingemischt hat. Vielleicht kommt etwas Neues zum Vorschein, wenn wir dort sind, Marcus.«
Das bezweifelte ich. In der Stimmung, in der ich war, rechnete ich damit, dass der Mörder Erfolg gehabt hatte. Dabei waren zwar noch ein paar mehr draufgegangen, doch er hatte seine Spuren verwischt und meine Ermittlung scheitern lassen.
»Aquillius hat mir das Versprechen abgenommen, der Tullius-Familie
nicht
zu berichten, dass wir ihren Sohn für tot halten.«
»Das ist auch in Ordnung, Marcus. Man muss sie nicht unnötig beunruhigen. Wir wissen ja nicht mit Sicherheit, was ihm zugestoßen ist.«
»Wie viele Jahre werden vergehen, glaubst du, bevor diese Memmen bemerken, dass ihr Wonnebrocken von Sohn nicht nach Hause geschrieben hat? Werden sie einfach annehmen, er sei ins Ausland gegangen, wo es ihm so gut gefallen hätte, dass er dort blieb?«
»Das kann passieren.«
»In deiner Familie würde das nie passieren. Julia Justa wartete schon auf einen Brief von Aulus, als wir sein Schiff noch fortsegeln sahen. Große Götter, selbst
mein
Vater hätte sich eines Tages gefragt, wieso ich nicht da bin, um herumgeschubst zu werden. Genau so kommen Mörder davon,
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