Delphi sehen und sterben
Helena.«
Helena machte ein Lesezeichen an ihrer Schriftrolle fest und ließ die Enden sich aufrollen. »Da fragt man sich dann doch, wie vieler Kunden sich Sieben-Stätten-Reisen in den letzten zehn Jahren entledigt hat, ohne dass es jemand bemerkte … Lass es gut sein und ruh dich aus. Du gerätst bei Ermittlungen oft an so einen Tiefpunkt, Marcus.«
Da sie Helenas tröstende Worte hörte, kletterte Nux zwischen uns aufs Bett und leckte mir die Hand. Ich blickte hinunter in ihre dunklen Augen, die zwischen ihrem verzottelten Fell ängstlich zu mir aufschauten. Sie hatte gesehen, wer Cleonymus ermordet hatte. Das brachte uns nicht weiter. Bei meiner Rückkehr zu hören, dass Nux fröhlich mit dem Schwanz gewedelt hatte, als der junge Glaucus und Albia sie angeleint an den Mitgliedern der Reisegruppe vorbeiführten, war eine erneute Enttäuschung gewesen.
Verbittert setzte ich die Hündin auf den Boden. Selbst sie war nutzlos.
Helena legte die Schriftrolle weg, in der sie gelesen hatte, und drehte sich zum Schlafen auf die Seite. Sie hielt etwas Abstand von mir. Ich wusste, warum. Auch meine Stirn war gerunzelt. Nach Korinth zurückzukommen und wieder mit meinen Neffen Albia und Glaucus vereint zu sein hatte uns an zu Hause erinnert.
Helena und ich lagen in der Dunkelheit und behielten unsere Gedanken für uns. Wir hatten beide schreckliche Sehnsucht nach unseren Töchtern. Aulus in Athen zu finden war kein Ersatz. Der Winter näherte sich, bald würde es zu gefährlich werden, über das Meer zu segeln. Wir waren nach Griechenland gekommen, um ein Rätsel zu lösen, was jetzt unmöglich erschien, und sehr bald würden wir hier in der Falle sitzen.
Plötzlich kamen mir die persönlichen Kosten dieser Reise zu hoch vor. Wir hätten uns gestritten, wenn wir darüber gesprochen hätten, also lagen wir beide schweigend da und litten vor uns hin.
Am nächsten Tag reiste die Sieben-Stätten-Gruppe ab. Wir verabschiedeten uns von ihnen beim Helios. Der Wirt kam heraus und drückte sich am Eingang herum. Trotz ihrer früheren Verärgerung über die miese Unterbringung und den Bordellbetrieb knickten mehrere ein und drückten ihm Geld in die Hand. Er dankte ihnen mit schleimiger Undankbarkeit. Wahrscheinlich bekam er mehr Trinkgeld von den Nutten, die seine Zimmer benutzten.
Die Gruppe nahm den direkten Weg per Schiff vom östlichen Hafen in Kenchreai. Dorthin konnte man zu Fuß gehen. Selbst für diesen kurzen Weg fuhr die Sertorius-Familie in einem überdachten Wagen. Das ermöglichte ihnen, so zu tun, als bekäme niemand das Gekreisch ihrer zwei Gören mit, die sich ständig kniffen und schubsten, und den pausenlosen Streit zwischen dem idiotischen Ehemann und seiner Ex-Sklavin; wenigstens schien sie sich gegen seine Widerwärtigkeit zur Wehr zu setzen, aber das hatte einen verbalen Kriegsschauplatz geschaffen. Der hochgewachsene Marinus hatte letzte Nacht von Wachteln geträumt, was anscheinend ein Omen dafür war, dass er unterwegs von jemandem übers Ohr gehauen würde. Helvia hörte sich das mit einem rundmündigen »Ooh, Marinus!« an, während Cleonyma mir zuzwinkerte.
Zu meinem Erstaunen hatte Phineus ganz offen die Organisation übernommen. Er befürchtete eindeutig nicht, wieder verhaftet zu werden. Hatte er Aquillius bestochen, oder war er nur dreist?
Polystratus und er waren damit beschäftigt, das Gepäck der Gruppe zu zählen und aufzuladen. Zum ersten Mal sahen wir sie in voller Prozession für eine Reise. Ihr Gepäck umfasste viel mehr als nur die Kleidung für alle Wetterlagen, obwohl es davon jede Menge zu geben schien. Sie hatten Decken, Kissen und Matratzenbezüge dabei, um das miese Bettzeug in den Gasthöfen aufzubessern. Sie hatten Nachttöpfe, sie hatten Arzneimitteltruhen, die zweifellos Flohpuder und Insektenstichmittel enthielten, Fußsalben, Suppositorien und metallhaltige Wachsbehandlungsmittel für Geschlechtskrankheiten, sie hatten Kochausrüstungen – Töpfe, Geschirr, Becher, Bleche, Holzscheite und Holzkohle, Wein, Öl, Wasser, Gewürze, Salz, Essig, Kohl, Brotlaibe, Oliven, Käse, kaltes Fleisch und Polystratus’ Amphoren mit gesalzenem Fisch. Sie hatten ihre eigenen Lampen, Lampenöl und Zunderbüchsen. Sie hatten Seile und Tragebretter, falls es Unfälle gab. Sie hatten Badeöl, Pantoffeln mit Holzsohlen, Strigilis, Handtücher, Baderoben und Zahnpulver. Sie hatten Tierfutter und Geldtruhen.
Es war gemein, sich einzumischen, während Phineus diesen gewaltigen Haufen
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