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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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spitze Steine gab. Während der Wassersack rund ging, bröckelten wir ranzigen Schafskäse auf unsere Tuniken und stritten uns um Oliven. Wie gewöhnlich hatte Helena die Verantwortung für topographische Nachforschungen übernommen und versorgte uns mit Kommentaren, um in uns Ehrfurcht für die ehrwürdigen religiösen Stätten zu wecken, in die wir eindringen würden.
    »Olympia ist das Hauptheiligtum des Zeus, den wir Jupiter nennen. Es ist heilig und abgelegen …« Ich stieß ein Schnauben aus. Abgelegen war es hier allerdings. »… und war schon alt, noch bevor der große Tempel erbaut wurde. Er ist ein Heiligtum der Gaia, der Erdmutter, die Zeus geboren hat – ich will übrigens nicht, dass sich einer von euch an irgendwelchen Fruchtbarkeitsriten versucht –, und wir werden den Hügel des Kronos sehen, welcher der Vater von Zeus war. Herakles verrichtete hier seine zwölfte Arbeit. Die Statue des Zeus in seinem Tempel wurde von Pheidias geschaffen, den wir Phidias nennen, und ist eines der sieben Weltwunder. Wie ihr alle wisst …« Sie verstummte, da sie ihr Publikum verloren hatte. Ich zumindest döste im Sonnenschein.
    Gaius und Cornelius rangen miteinander. Mir ging auf, dass Cornelius einer jener dicklichen Jungen war, die stets für älter gehalten werden. Vermutlich war er erst elf oder zwölf, was bedeutete, dass ich auf ihn aufpassen musste. Gaius musste inzwischen sechzehn sein, tätowiert und mit rattenartigen Gesichtszügen, allerdings mit einer liebevollen Ader, die er unter dem Wunsch verbarg, wie ein Barbarensöldner auszusehen. Jeder dieser beiden Lümmel hatte einen dicken Schopf ungebärdiger schwarzer Didius-Locken. Ich befürchtete, Fremde könnten sie für meine Söhne halten.
    »Wird der junge Glaucus bei den Spielen antreten?«, wollte Cornelius von mir wissen. Er fragte den jungen Glaucus nicht selbst, denn der junge Glaucus sagte nie viel. Im Moment führte er eine Übung durch, bei der er auf allen vieren hockte und langsam das rechte Bein und den linken Arm ausstreckte und hielt. Das wäre nicht weiter schwierig gewesen, wenn er nicht gleichzeitig eines unserer größeren Gepäckbündel auf seinen gewaltigen Schultern balanciert hätte. Während sich seine Sehnen dehnten und die Muskeln bebten, merkte ich, wie ich zusammenzuckte.
    »Ja, Cornelius. Er möchte die Situation in Augenschein nehmen, um für nächstes Jahr bereit zu sein. Wohlgemerkt, ich habe seinem Vater versprochen, ihn sicher wieder heimzubringen, ohne auf dumme Gedanken zu kommen.«
    »Hast du das
meinem
Vater nicht auch versprochen?«
    »Nein. Verontius sagte, ich könnte dich gegen eine hübsche kleine Athener Magd eintauschen.« Das hatte Verontius tatsächlich gesagt. Da mir Cornelius das zutraute, blickte er besorgt.
    »Man muss Grieche sein«, warf Gaius ein, »um an den Spielen teilzunehmen.«
    »Nicht mehr!«, höhnte Cornelius. »Rom regiert die Welt!«
    »Wir regieren mit einem freundlichen Zepter, tolerieren örtliche Bräuche.« Als ihr Onkel war es meine Pflicht, sie in Politik zu unterweisen. Die Griechen hatten nicht mehr das Monopol auf demokratisches Gedankengut, obwohl ich in den Thermen meine Ohren gespitzt hielt. Ich hatte die modernen Theorien gehört. Die Jungs starrten mich an, glaubten, ich wäre zum Weichei geworden.
    Unsere Toleranz gegenüber Ausländern wurde bald auf die Probe gestellt. Zwei Querfeldeinläufer kamen vorbei und schauten neidisch auf unseren Sitzplatz. Wir rückten zusammen und boten ihnen vier Zoll Boden an. Im Geiste des olympischen Ideals (und in der Hoffnung, an ihrem Weinschlauch teilzuhaben) schlossen wir Freundschaft. Sie waren Sportbegeisterte aus Germanien, zwei große, schwabbelige, blonde Weinhändler vom Fluss Rhenus. Ich erkannte die spitzen Kapuzen, die sie trugen, befestigt an Umhängen mit dreieckigen Aufschlägen. Wir sprachen über Orte im Norden. Dann witzelte ich: »Und wieso habt ihr das Datum verwechselt?«
    »Ach, dieser Nero! Er hat alles durcheinandergebracht.«
    Im Jahr vor seinem Tod hatte Kaiser Nero mit großem Aufwand Griechenland bereist. Da er bei allen traditionellen Spielen auftreten wollte (und die »Nur-für-Griechen«-Regel einfach missachtete), hatte er den Organisatoren befohlen, die Olympischen Spiele zwei Jahre vorzuverlegen, nur damit er an den Wettkämpfen teilnehmen konnte. Dann schockierte er griechische Empfindsamkeiten durch den »Gewinn« des ersten Preises beim Wagenrennen, obwohl er rausfiel und das Rennen nie

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