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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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ungebrochener Linie von den Handwerkern ab, die mit Pheidias gearbeitet hatten.
    Ich hatte mein ganzes Leben lang von dieser Statue gehört, konnte mich aber nicht erinnern, wie und wo ich zum ersten Mal über sie gelesen hatte oder mir davon berichtet wurde. Ich wusste, wie sie aussehen würde – der gewaltige, sitzende Gott, bärtig und mit Olivenzweigen gekrönt, seine goldene Robe geschmückt mit Tieren und Blumen, auf seinem Zepter ein goldener Adler, die geflügelte Figur der Siegesgöttin Nike neben seiner rechten Hand, der Thron aus Ebenholz und Elfenbein verziert mit Edelsteinen und farbigen Malereien.
    Im Leben sind so viele Dinge enttäuschend. Doch manchmal wird man vom Leben verblüfft – ein versprochenes Weltwunder wird dem Erhofften gerecht.
     
    Helena und ich standen lange Zeit Hand in Hand da. Ich spürte die Wärme ihres nackten Arms neben meinem, das leise Kitzeln vom Saum ihres langen Kleides auf meinem Fuß. Helena war so zynisch wie ich, konnte sich aber dem Genuss großer Dinge vollkommen hingeben. Ihre Erregung übertrug sich auf mich.
    Schließlich ließ sie ihren Kopf kurz an meine Schulter sinken und teilte den aufgeregten Jugendlichen mit, sie könnten nach oben steigen. Allein gelassen, wandten wir uns einander mehr zu und blieben noch ein paar Augenblicke so stehen.
    Schließlich traten wir schweigend hinaus ins strahlende Sonnenlicht des Heiligtums, immer noch Hand in Hand.
     
    X
    Wir blieben auf den Stufen stehen, bis wir wieder normal atmen konnten. Unsere Haut fühlte sich durch die Mischung aus Räucherwerk und feinen Olivenöltropfen klebrig an.
    Barzanes war es nicht gelungen, eine andere Reisegruppe zu finden. Obwohl wir ihm bereits Trinkgeld gegeben hatten, blieb er in unserer Nähe. Er musste schon Hunderte ehrfurchtergriffener Betrachter beim Verlassen des Tempels gesehen haben. Er beobachtete uns wohlwollend.
    Helena verschwand schweigend, um mit den Tempelpriestern zu reden. Wir hatten noch nichts von ihrem Bruder Aulus gesehen, und falls er noch hier war, mussten wir ihn aufspüren. Wenn er aus Olympia abgereist war, würde er im Haupttempel eine Nachricht für diejenigen hinterlassen haben, die sich auf seine Spur gesetzt hatten. Aulus hatte seinen eigenen selbstbewussten Stil. Er musste sich sicher gewesen sein, dass ich mich als Reaktion auf seinen Brief sofort nach Griechenland aufmachen würde.
    Aulus würde den Priestern Geld gegeben haben, aber ich sorgte dafür, dass Helena ihnen ebenfalls ein kleines Geldgeschenk machen konnte. Das würde erwartet werden. Besser, man stellte sich gut mit ihnen. Zeus waren die Sterblichen gleichgültig, doch Priester waren schnell beleidigt, und in einem Heiligtum wie diesem verfügten sie über enorme Macht.
    Ich ging die Stufen hinunter und gesellte mich wieder zu unserem Führer.
    »Hat es Ihnen gefallen?«
    »Wir waren überwältigt!«
    »Glauben Sie an die Götter?« Barzanes wirkte jetzt gedämpfter. Diese abrupte Frage erschien mit sonderbar.
    »Genug, um sie vielfach verflucht zu haben.« Ich merkte, dass er mich verunsichern wollte. Das war mir im Verlauf meiner Arbeit schon öfter passiert. Sein Verhalten hatte sich geändert, und ich fragte mich, wieso. »Ich glaube an menschliches Streben. Ich bin von Pheidias’ Statue als großer Meisterleistung der Handwerkskunst, Hingabe und Vorstellungskraft beeindruckt … Ich glaube«, sagte ich leise, »dass die meisten Mysterien logische Erklärungen haben. Man muss sie nur finden.«
    Ich überließ es ihm, herauszubringen, welche Mysterien ich meinte.
    Ich blickte mich in der Altis um, wo die antiken Tempel, Grabmäler und Schatzhäuser unter einem einfarbig blauen Himmel von tiefer Intensität im Licht gebadet wurden. Der Hahn, der uns heute Morgen geweckt hatte, krähte immer noch in der Ferne. In größerer Nähe brüllte ein Ochse, heiser vor Angst. »Wir haben uns herumführen lassen. Jetzt sollten Sie und ich über meine Mission reden, Barzanes.«
    »Ihre Mission, Falco?«
    Ach, nun war ich Falco. Innerhalb meiner Gruppe war ich »Onkel Marcus« oder »Marcus Didius« gewesen. Also hatte jemand, während wir im Tempel waren, dem Führer mein Cognomen verraten. Olympia wirkte verlassen, aber ich war bemerkt worden. Jemand hatte im Voraus gewusst, dass ich kommen würde. Vermutlich war auch ein Gerücht auf niedlichen kleinen Flügeln herumgeflattert und hatte verkündet, warum ich kam.
    Vielleicht hatte ein Gott mich verraten, was ich jedoch bezweifelte.
    »Ich

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