Delphi sehen und sterben
auskundschaften wollte, an dem die Sieben-Stätten-Gruppe gezeltet hatte. Helena wollte auch mitkommen, fühlte sich aber unwohl. Griechisches Essen hatte sie niedergestreckt. Nach dem Frühstück gingen Albia und ich rasch vom Leonidaion in südlicher Richtung entlang des Uferdamms, der von der großen Böschungsmauer des Flusses Kladeos gebildet wurde. Der Kladeos war ein zögerliches Rinnsal, das sich zwischen Rohrkolben hindurchschlängelte, wenngleich er bei Hochwasser zweifellos dramatisch anschwoll.
Hochhüpfende Flöhe schwirrten um unsere Füße. Die Luft war voll bösartiger Insekten.
»Das ist noch gar nichts, Albia. Stell dir den Ort während der Spiele vor, wenn am Tag hundert Ochsen geschlachtet werden. Versuch gar nicht erst auszurechnen, wie viel Blut dabei fließt. Dazu noch die Häute, Knochen, Hörner, Innereien, Brocken ungebratenen oder unverzehrten Fleisches. Während der Rauch zu den Göttern auf dem Olymp aufsteigt, finden die Fliegen hier unten ihren eigenen Himmel.«
Albia setzte ihre Schritte mit Vorsicht. »Jetzt verstehe ich, warum die beiden Germanen, die wir getroffen haben, sagten, sie würden immer beten, dass es nicht regnet. Der Boden würde sehr schlammig werden.«
»Schlamm und Schlimmeres!«
Wir fanden die Stelle, an der das Lager aufgeschlagen worden war. Aulus hatte einen klaren Plan gezeichnet. Er war kein begnadeter Zeichner, verwendete kurze, dicke Linien, aber was er meinte, war deutlich zu erkennen. Wir konnten Flecken ausgebleichten Grases ausmachen, in der Größe von zwei Armeezelten für jeweils zehn Mann. Wir fanden sogar Löcher für die Zeltpflöcke und niedergetrampelte Mulden für die beiden Eingänge. Auf dem weiten Gelände rundherum verschmutzte drei Jahre alter Müll das Flussufer, zurückgelassen von Zuschauern der letzten Spiele. Aber da, wo die Leute von Sieben Stätten gelagert hatten, war überhaupt kein Abfall zu sehen.
»Die Leute vom Reiseunternehmen sind ja
so
ordentlich, Falco!« Albia hatte Ermittlerironie gelernt. »Sie haben jeden Hinweis sorgsam entfernt.«
Ich baute mich dort auf, wo der Zugang zum Sieben-Stätten-Zelt gewesen sein musste, die Füße gespreizt und die Daumen im Gürtel. Meinem Lieblingsgürtel, und es war eine sinnvolle Haltung zum Nachdenken. Der Gürtel war an zwei Stellen ausgebeult, um meine Daumen aufzunehmen. »Ich bezweifle, dass es viele Hinweise gab, Albia. Und ich würde die Bestnoten für gute Haushaltsführung nicht an Sieben Stätten vergeben.«
»An wen dann?«
»Barzanes sagte, das Mädchen sei woanders getötet und die Leiche erst danach hierhergetragen worden. Einen Tatort kann man forensisch untersuchen. Aber hier gewinnt man nichts, wenn man so gründlich aufräumt.«
»Forensisch«, wiederholte Albia und prägte sich das neue Wort ein. »Warum dann, Marcus Didius?«
»Der Ort wurde als verunreinigt angesehen. Mord zerstört den guten Namen des Heiligtums und bringt vielleicht sogar Unglück. Daher haben sie die Spuren aller Leute ausgelöscht, die hier mit Valeria waren.«
»Die Priester?« Albias graue Augen wurden groß. »Glaubst du, die
Priester
hätten Valeria getötet?« Der Ton meiner Pflegetochter triefte vor Hohn. Auf den Straßen Londiniums hatte sie gelernt, jeglicher Obrigkeit zu misstrauen. Ich kann nicht behaupten, dass Helena und ich sie in dieser Einstellung entmutigt hätten.
»Priester sind meiner Meinung nach zu allem fähig, Albia.«
Wir standen schweigend da, spürten die Sonne und hörten dem Vogelgezwitscher zu. Unter unseren Füßen wurde das Gras – ohne Nährstoffe, während die Zelte darauf gestanden hatten – bereits wieder grün, die Halme tapfer aufgerichtet. Belaubte Hügel umgaben uns, bedeckt mit Olivenbäumen, Platanen, Lärchen und sogar Palmen über dichtem Unterholz aus Ranken und blühenden Büschen. Der konische Kronoshügel beherrschte alles, wartete darauf, das ich mich anderen Geheimnissen zuwandte.
Mit dem strahlenden Himmel, den rauschenden Flüssen, heiligen Hainen und uralten Zuschreibungen summte dieser Fleck vor Fruchtbarkeit und Legendärem. Ich erwartete jeden Moment das Auftauchen eines geschmeidigen Gottes, der uns fragte, ob wir irgendwelche Jungfrauen kennen würden, die bereit wären, sich im Interesse der Mythologie vernaschen zu lassen.
»Valeria Ventidia war nicht viel älter als du, Albia. Wenn du mit einer Reisegruppe Olympia besucht hättest, wie würdest du dich fühlen?«
Ȁlter, als wir es von mir
annehmen!
« Albia ließ
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