Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
hallendes Kaltbecken.
    Der Hof in der Mitte wurde für Kampfsportarten benutzt. Während der Spiele würde es hier rammelvoll sein, aber außerhalb der Saison war es ruhiger. Ringen im Stand wurde auf einem ebenen, sandigen Gelände ausgeführt, genannt Skamma, manchmal ebenfalls genutzt von Weitspringern, was zu Streitigkeiten führen konnte. Der als Pale bezeichnete Bodenringkampf, bei dem sich die Wettkämpfer herumwälzten, fand in einem provisorischen Schlammbad statt, wo der Sand zu einer Konsistenz von klebrigem Bienenwachs verwässert worden war – ein absoluter Magnet für Exhibitionisten. Beide Arten des Ringens galten als verfeinert im Vergleich zum Boxen, bei dem sich – unter Zuhilfenahme tückischer Armschützer mit großen, harten ledernen Fingerknöchelpolstern – Gegner das Gesicht so zu Brei schlagen konnten, dass keiner seiner Freunde sie mehr erkannte. Beim Boxen, diesem uralten Sport des schönen goldhaarigen Apollons, war einmal ein heftiger Kampf entbrannt, bei dem sich ein Mann für einen gewaltigen Hieb auf den Kopf dadurch rächte, dass er seinem Gegner die Fingernägel in den Leib grub und ihm mit bloßen Händen die Eingeweide herausriss.
    Selbst Boxen wirkte blass im Vergleich zu dem brutalen griechischen Mördersport namens Pankration, bei dem alle Mittel erlaubt waren. Pankrationkämpfer benutzten eine Mischung aus Boxen und Ringen, plus allem, was ihnen sonst an Schlägen und Tritten einfiel. Nur Beißen und Augenauskratzen verstießen gegen die Regeln. Diese Regeln zu brechen wurde jedoch sehr bewundert. Genau wie das Brechen von Knöcheln, Armen, Fersen, Fingern und allem anderen, was sich sonst noch brechen ließ.
    Bevölkert von Grobianen, die in diesen harten Sportarten triumphierten, hatte die Palästra eine ganz eigene Atmosphäre, eine, die mir nicht gefiel. Sie hatte auch ihren eigenen Geruch, wie ihn alle Sporthallen haben. Gestern hatten Glaucus und ich uns darauf geeinigt, Helena, Albia und meine jungen Neffen nicht hierherzubringen – selbst wenn das möglich gewesen wäre. Heute sah ich mir die Männer an, aber das hier war definitiv nichts für mich. Das Gymnasium von Glaucus senior bei uns zu Hause hinter dem Tempel des Castor war genauso exklusiv, strahlte aber etwas Zivilisiertes aus – ganz zu schweigen von der friedvollen Bibliothek und einem Mann auf den Stufen, der warmes Gebäck verkaufte. Niemand kam hierher, um zu lesen. Das war nur eine Kampfarena für Raufbolde. Glaucus hatte es irgendwie geschafft, Zutritt zu bekommen, wohl aufgrund seiner Größe und sportlichen Leistungsfähigkeit, aber in offiziellen olympischen Jahren wären weder der junge Glaucus noch ich auch nur in die Nähe der Innenräume gekommen.
    Ich fragte mich, ob Phineus es je schaffte, Männer aus seinen Reisegruppen hier einzuschmuggeln. Ich hätte darauf wetten können. Hätte wetten können, dass das der Grund war, warum sie ihn alle für so gut hielten.
    Während ich um den offenen Hof herumging, musste ich mehreren Lümmeln ausweichen, die auf Ärger aus waren. Mir war der Außenseiter deutlich anzusehen. Ich konnte nur hoffen, dass mein Name und meine Mission nicht an diese Kraftmeier weitergegeben worden waren wie gestern bei dem Fremdenführer im Heiligtum.
    Glaucus hatte es mit Weitsprung. Er hatte mir erzählt, wo ich ihn heute finden würde – in einem langen Raum bei der südlichen Kolonnade, wo es Bänke für Zuschauer gab, man aber auch vom Flur aus zusehen konnte. Ein Musikant spielte auf einer Doppelflöte, die er sich mit einem Kopfband auf seltsam traditionelle Weise an der Stirn befestigt hatte. Er sollte den Athleten bei Konzentration und Rhythmus Hilfestellung leisten. Der Flötenklang stand in eigentümlichem Kontrast zu der sonstigen aggressiven Stimmung. Ich hätte fast erwartet, einen Raum voll tanzender Mädchen vorzufinden.
    Keine Chance. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass hier jemals das vollzogen wurde, was ich als normalen Geschlechtsverkehr betrachtete. Zwei Jahrhunderte römischer Herrschaft hatten die Atmosphäre in keiner griechischen Palästra verändert. Die erotische Spannung war automatisch vorhanden. In einer Palästra kamen junge Männer zusammen, und ältere Männer kamen her, um offen deren Schönheit und Kraft zu bestaunen, in der Hoffnung auf mehr. Selbst ich wurde genau gemustert. Mit fünfunddreißig, vernarbt und spöttisch, war ich sicher vor alten Geißböcken, die meinen Vater um Erlaubnis bitten wollten, mich zu fördern, zu

Weitere Kostenlose Bücher