Delphi sehen und sterben
spüre, wie mich ein Anfall von Homer überkommt.«
»An eurem Onkel Marcus ist mehr dran als eine zähe Natur und ein freches Grinsen«, teilte Helena den Jungs mit. »Er kommt mit finsterem Blick angestapft, hat gerade Zeugen in die Mangel genommen und führt uns dann plötzlich vor, wie belesen er ist. Also, du bist dran, Marcus.«
»Ich bin schon erwachsen. Ich muss keine Lektionen aufsagen.« Die Jungs waren beeindruckt von meiner Rebellion.
Helena seufzte. »Spielverderber. Das wird ein Nachschlag menschlichen Eintopfs, fürchte ich. Arteus und Thyestes stritten sich fürchterlich über ihr Erbe. Schließlich zerstückelte Arteus sämtliche Kinder seines Bruders – außer einem – und tischte sie bei einem Festmahl auf, zu dem Thyestes als Ehrengast geladen war. Thyestes bekam nichts davon mit und ließ es sich schmecken. Sein einziger überlebender Sohn hieß Aigisthos.«
Helena ging die Puste aus, also sprang ich doch ein: »Der berühmte Sohn von Arteus wiederum ist König Agamemnon. Seine zänkische Frau heißt Klytämnestra. In seiner Abwesenheit während des Trojanischen Krieges wird sie die Geliebte ihres mürrischen Vetters Aigisthos. Aigisthos bekommt seine Rache für den neuen Eintopfvorfall, Klytämnestra befriedigt ihre Wollust. Bei seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg ermorden die beiden Liebenden Agamemnon, dessen Sohn und Tochter dann die beiden ermorden und Material für viele Tragödien liefern.«
»Die Moral daraus lautet: Esst nur Salat. Wenn eine Reisegruppe nach Troja will«, sagte Helena, »ist Olympia ein guter Ausgangspunkt.«
»Ja, die Gruppe von Sieben-Stätten-Reisen bekommt nicht nur Sport geboten, sie befindet sich auch auf einer von Dramen überquellenden Route. Nach einem Umweg über Sparta reisen sie als Nächstes nach Mykene, dem Palast des Agamemnon. Dann nach Aulis, wo die griechischen Schiffe ablegten, und weiter nach Troja – Troja soll heutzutage bloß noch aus Schutt bestehen, habe ich gehört, nur Beutelschneider und kitschige Andenkenstände. Aber sag mir, Helena, warst du deshalb von Pelops fasziniert?«, fragte ich.
»Nun, er vertritt den heldenhaften, sterblichen Menschen. Er scheint ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben und hat eine Menge Erinnerungsstätten errichten lassen – für Myrtilos, Oinomaos, die anderen Freier …«
»Wie großherzig von ihm. Ich würde im Traum nicht daran denken, deine früheren Liebhaber zu ehren.«
»Didius Falco, du bist Privatermittler, du hast kein Gewissen.« Was nicht stimmte, wie Helena genau wusste.
»Der ganze Peloponnes ist nach Pelops benannt«, piepste Cornelius. Er hatte sich aufs Angeben verlegt.
Gaius streckte sich in ganzer Länge auf dem Rücken aus. »Hier ist alles voll mit Relikten. Außer seinem Schulterbein haben wir auch noch seinen Zeremoniendolch mit dem goldenen Knauf gesehen, im Schatzhaus des Sikyon …«
»Und Hippodameias Liege«, sagte Albia. »In ihrem Schrein.«
»Mädelskram!«, spottete ich. »Jetzt hört mal zu. Ist ja schön, dass ihr so viel Spaß als Touristen habt, aber wir sind wegen eines Falls nach Griechenland gekommen.«
»Ich verfolge den Fall durchaus«, grummelte Helena. »Stell es dir vor. Die Männer auf der Tour waren besessen von all diesen blutigen Sportarten – Boxen, Ringen und dem grausigen Pankration. Die Frauen hatten die Nase voll davon, dass die Männer heimkamen und nur von Gewalt und Blut faselten. Zur Ablenkung organisierten sie eine Pelops-Tour. Später am selben Abend wurde Valeria ermordet – also versuche ich zu folgern, was an dem Tag in ihrem Kopf vorging.«
»Hat dich diese Theorie weitergebracht?«
»Ich frage mich«, fuhr sie fort, ohne auf mich einzugehen, »ob Hippodameias Liebeswerben in Valeria vielleicht irgendwas auslöste. Falls sie festgestellt hatte, dass sie mit ihrem frisch Angetrauten unglücklich war, hat sie dann die Geschichte einer beherzten jungen Frau bewegt, die sich einen Mann eroberte, der sie wirklich wollte? Vielleicht war Valeria ruhelos geworden.«
Nachdenklich betrachtete ich mein Mädchen. Helena hatte selbst eine arrangierte Ehe hinter sich, mit einem schwachen Mann, der sie betrogen hatte. Sie hatte die Qual ein paar Jahre ertragen und sich dann von ihm scheiden lassen. Ich wusste, dass Helena nicht vergessen hatte, wie niedergeschlagen sie gewesen war, sowohl während ihrer Ehe als auch nach deren Versagen.
»Liebling, willst du darauf hinaus, dass Valeria Ventidia befürchtete, für immer an den
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