Delphi sehen und sterben
einen raschen, harten Blick zu, als würde sie mich, was den Grund für dieses plötzliche und unerwartete Ableben des Freigelassenen betraf, herausfordern. Ich schüttelte leicht den Kopf, um sie zu warnen, das Thema anzuschneiden. Dann widmete sie sich Cleonyma und bedeutete uns anderen, den Innenhof zu verlassen, während der lange Prozess des Trauerns begann.
Die meisten von uns gingen zu einer Seitenstraße, traten wie verwirrte Schafe nach einem Angriff eines Wolfes in die helle Sonne hinaus. Helena ließ mich auf einer sonnigen Bank Platz nehmen, den Arm beschützend um meine Schultern gelegt.
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen Becher Wein vertragen«, bot Marinus an, doch ich schüttelte den Kopf. Er und Indus schienen das Bedürfnis zu haben, jemanden zu bewirten, um ihren Schock zu mildern. Sie gingen los und nahmen stattdessen Amaranthus mit. Helvia war von der Sertorius-Familie geschluckt worden. Damit blieb nur Volcasius übrig. Er kam und baute sich direkt vor uns auf.
»Das ist eine neue Wendung, Falco!« Ich nickte nur. »War es ein Unfall?«
»Anscheinend.« Ich wollte nicht, dass er Cleonyma mit irgendwelchen schonungslosen Enthüllungen beunruhigte, die sich nicht beweisen ließen.
»Klingt nicht danach!«
Ich zwang mich zu antworten. »Niemand hat etwas gesehen, also können wir uns nicht sicher sein, was passiert ist.« Ich blickte Volcasius finster an, wie er so dastand, schief und krumm mit seinem lächerlichen Sonnenhut. »Außer Sie haben einen speziellen Grund zu der Annahme, dass es jemand auf den Freigelassenen abgesehen hatte?«
Volcasius antwortete nicht, blieb aber nach wie vor stehen. Er war ein Mann mit Fixierungen und schien von Verhängnissen fasziniert zu sein. Er würde unerwünscht herumhängen, während jene von uns, die sich mit den Anstandsregeln einer Krise auskannten, die Hinterbliebene in Ruhe lassen würden.
Helena teilte meine Ansicht. Auch sie schien zu überlegen, ob sich Volcasius in den Nachwehen der früheren Tragödie an den Bräutigam gehängt hatte. »Cleonyma wird jetzt eine Menge durchmachen. Haben Sie all das bereits bei Statianus in Olympia erlebt, Volcasius?«
»Er war völlig hysterisch«, sagte Volcasius. »Davor war niemand gestorben, den er kannte. Er hatte noch nie eine Leiche gesehen oder ein Begräbnis organisieren müssen.«
»Sie haben mit ihm gesprochen? Ist dabei etwas herausgekommen?«, fragte Helena unaufgeregt. Ihre Aufmerksamkeit schien auf mich gerichtet, und sie strich mir über das Haar. Ich ließ mich zusammensacken, beruhigt durch ihre langen Finger.
»Ob ich glaubte, er sei der Mörder?«, wollte Volcasius wissen. »Nein. Ihm fehlte die Willenskraft oder die notwendige Stärke.« Volcasius hatte bisher geleugnet, dazu eine Meinung zu haben.
»Aber er und Valeria haben sich die ganze Zeit gestritten, nicht wahr?«, hakte Helena nach.
»Das war einfach ihre Art. Sie hätten sich auch weiterhin gestritten, selbst wenn sie die nächsten dreißig Jahre verheiratet geblieben wären.«
»Ihre häusliche Routine? Ja, ich habe schon Paare kennengelernt, die in endloser Disharmonie miteinander verbunden sind«, sagte Helena. »Wenn einer von ihnen stirbt, ist der andere am Boden zerstört. Ihnen fehlt der Hickhack … Statianus ist nach Delphi gegangen, um das Orakel zu befragen. Mein Bruder hat es mir geschrieben.«
»Ist Aelianus bei ihm?« Volcasius wirkte begierig, selbst dabei zu sein.
Helena wich der Antwort aus. »Statianus hat jetzt die Verantwortung auf sich genommen, herauszufinden, wer seine Frau ermordet hat.«
»Dann hätte er hierbleiben sollen!«, höhnte der Sonderling.
»Warum? Wissen Sie etwas darüber, Volcasius?«
»Ich weiß, dass er den Täter nie aus den Sibyllinischen Büchern in Delphi erfahren wird.«
»Die Sibyllinischen Bücher befinden sich inzwischen in Rom.« Entzückt davon, dem Pedanten einen Fehler nachzuweisen, rappelte ich mich auf. »Die Prophetin in Delphi murmelt und brummelt ihre Rätsel verbal.«
Wie ich erwartet hatte, machte es Volcasius bösartig, im Irrtum zu sein. »Sie halten sich wohl für sehr gescheit, Falco.«
»Nein, ich glaube, ich werde wie ein Idiot behandelt«, blaffte ich.
»Nicht von mir.« Er war so selbstgerecht, dass ich mich am liebsten vorgebeugt und ihn in die Kniekehle getreten hätte.
»Von den meisten Ihrer Reisegruppe. Sie nehmen alles, was passiert, viel zu gleichgültig hin. Wenn Sie etwas wissen, dann ist es Ihre Pflicht, davon zu
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