Delphi sehen und sterben
Steinchen rutschten unter meinen Schuhen weg. Meine Flasche prallte gegen meine Hüfte. Ich benutzte meinen Stab, um das Gleichgewicht zu halten, und musste dazu die Spitze fest in den Boden rammen, während ich den Blick meist auf den heimtückischen Weg gesenkt hielt. Der Stab bog sich unter meinem Gewicht, so unkontrolliert war mein Abstieg.
Als ich in Sichtweite der Stelle kam, wo ich Cleonymus zurückgelassen hatte, hörte ich Nux. Die ohrenbetäubende Schärfe ihres Bellens alarmierte mich. Ich sah eine kleine Menschenmenge dort stehen. Obwohl sich scheinbar kaum jemand auf dem Weg nach Akrokorinth befunden hatte, waren Menschen aus dem Nichts aufgetaucht. Sie waren gekommen, um bei einem Notfall zu helfen.
Zuerst konnte ich nicht erkennen, was da vor sich ging. Nux entdeckte mich, rannte auf mich zu, tanzte mit aufgeregtem Kläffen um meine Füße. Von Zeit zu Zeit legte sie die Schnauze an ihre Flanke, stieß ein tapferes kleines Jaulen aus, als wäre sie verletzt, wolle aber nicht zu viel davon hermachen. Ich eilte das letzte Wegstück hinunter. Mit ungutem Gefühl drängte ich mich durch die kleine Gruppe der Gaffer am Wegrand. Nux folgte mir zufrieden, legte sich mit der Nase direkt an den Rand des Abgrunds und jaulte wieder mitleiderregend.
»Gutes Mädchen. Gutes Mädchen …« Mit dem Hund zu reden war dazu gedacht, mich zu beruhigen. Stattdessen ergriff mich Panik, als ich mich über den Steilabfall beugte.
Ich war zu spät gekommen, um noch zu helfen. Viel zu spät.
Ein Mann war über den Rand gestürzt. Einige tapferere Einheimische riskierten ihr Leben, mühten sich ab, in Reichweite zu kommen, wobei sie ein kurzes Seil benutzten, das jemand dabeigehabt haben musste. Sie hatten das Seil zu dem Mann da unten hinuntergelassen. Er klammerte sich an ein paar trockenen Büschen fest, die in der senkrechten Felswand Wurzeln geschlagen hatten. Zerstörtes Laubwerk zeigte an, wo er bereits abgerutscht war, vielleicht etappenweise.
Große Götter, es war Cleonymus. Ich erkannte seine strahlend blaue Tunika, dann die Schädeldecke, während er sich an die Felswand drückte. Er hing nur noch an den Fingerspitzen. Die eine Hand hielt ein kümmerliches Sträuchlein gepackt, die andere, zur Seite gestreckt, klammerte sich verzweifelt an kleinste Vorsprünge im nackten Sandstein. Die Retter hatten es geschafft, das Seil sehr nahe an ihn heranzuführen, aber wenn er eine Hand losließ, um danach zu greifen, würde er fallen.
Ich wollte ihn rufen, doch das hätte verhängnisvoll sein können. Ich packte das Seil der Retter, fügte mein Gewicht dem menschlichen Ballast hinzu. Dann brüllte jemand eine Warnung. Ich ließ los, schaute über den Rand und sah gerade noch, wie der Busch nachgab, seine flachen Wurzeln aus ihrem spärlichen Halt gerissen. Cleonymus stürzte an der Felswand hinunter, viele Fuß tief. Einmal meinte ich ihn schreien zu hören. Dann war Stille. Weit unten lag sein Körper und rührte sich nicht. Wir liefen alle so schnell wie möglich den Weg hinunter, wussten jedoch, dass jede Hilfe zu spät kam, wenn wir ihn schließlich erreichten.
»Hat jemand gesehen, was passiert ist?« Beim Hinabstolpern versuchte ich aus dem Unfall schlau zu werden.
Ein Passant, jetzt selbst im Schockzustand, hatte einen Hund bellen und einen Mann um Hilfe rufen hören. Zuerst war Cleonymus fast in Reichweite aufgeprallt, hatte sich nahe des Weges an die Felswand geklammert. Minuten später war er in Panik geraten. Als er versuchte hinaufzuklettern, hatte den Halt verloren und war weiter hinuntergefallen. Eine stümperhafte Helfergruppe hatte sich gesammelt. Eine tapfere Seele hatte sich über den Rand gewagt, aber es war zu gefährlich, und andere hatten ihn zurückgezogen.
Alle nahmen an, Cleonymus hätte zu nahe am Rand gestanden. Er hatte entweder das Gleichgewicht verloren, als er in die gefährliche Tiefe schaute, oder ein Teil des Weges hatte unter ihm nachgegeben.
»Hat er irgendwas gesagt?«
»Außer seinem Hilferuf?«
»Entschuldigung. War jemand in seiner Nähe, als er fiel?«
Ein Zeuge hatte Cleonymus etwas früher mit einem anderen Mann reden sehen. Aber der Zeuge war schon älter und drückte sich unbestimmt aus. Der andere Mann hätte genauso gut ich sein können, als ich bei Cleonymus war. Dann behauptete jemand, einen Mann in teurer Kleidung gesehen zu haben, der direkt vor der Tragödie mit raschem Schritt bergab ging. Mir war auf meinem Weg zur Quelle niemand dieser Art begegnet.
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