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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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zu machen und frische Luft zu schöpfen, als der zahlungsunfähige Schuldner im Marshalsea-Gefängnis.
    Es kann Einbildung von mir sein, oder vielleicht vermag ich den Platz nicht von den alten Erinnerungen zu trennen, die sich daran knüpfen, aber dieser Teil von London ist mir in der Seele zuwider. Die Straße ist breit, die Läden sind geräumig, das Geräusch der vorüberrasselnden Fuhrwerke, die Fußtritte eines ununterbrochenen Menschenstromes – das ganze, laute, geschäftige Treiben des Verkehrs ertönt in ihr von Morgen bis Mitternacht. Aber die Nebenstraßen sind schlecht und eng: Armut und Ausschweifung liegen eiternd in den vollgepfropften Gäßchen; Mangel und Elend sind in dem engen Gefängnisse zusammengesperrt: eine finstere düstere Luft scheint, wenigstens in meinen Augen, auf dem Ganzen zu lasten, und ihm ein trübes, schmutziges Aussehen zu geben.
    Manche Augen, die seitdem schon lange im Grabe geschlossen sind, haben diesen Schauplatz ziemlich unbesorgt betrachtet, wenn sie zum ersten Male das Tor des alten Marshalsea-Gefängnisses überschritten: denn die Verzweiflung kommt selten mit dem ersten schweren Schlage des Schicksals. Der Mensch hat Vertrauen auf unerprobte Freunde, er erinnert sich der vielen Anerbietungen, die ihm von seinen lustigen Kameraden so freigebig gemacht worden, als er ihrer nicht bedurfte; er hat Hoffnung – die Hoffnung der glücklichen Unerfahrenheit. Wenn er auch vom ersten Schlage niedergebeugt wird, so keimt die Hoffnung in seinem Busen und blüht für kurze Zeit, bis sie unter dem zerstörenden Einfluß der Enttäuschung und Verlassenheit dahinschwindet. Wie bald blickten dieselben Augen tief eingesunken und glanzlos aus dem Gesicht hervor, das vom Hunger abgezehrt und von der Einsperrung bleich geworden war, in Tagen, wo es nicht bloß Redensart war, wenn man sagte, die Schuldner vermodern im Gefängnis ohne Hoffnung auf Erlösung und ohne Aussicht auf Freiheit! Diese Abscheulichkeit besteht in ihrer vollen Ausdehnung nicht mehr! aber es ist noch genug von ihr vorhanden, um Dinge zu ermöglichen, die das Herz zerreißen.
    Es sind jetzt zwanzig Jahre, daß eine Mutter mit ihrem Kind, so gewiß wie der Morgen kam, Tag für Tag an dem Gefängnistor sich zeigte. Oft kamen sie nach einer schlaflosen Nacht voll Elend und Qual eine ganze Stunde zu früh. Dann ging die junge Mutter traurig wieder weg, führte das Kind nach der alten Brücke und nahm es auf den Arm, um ihm das im Licht der Morgensonne erglühende Wasser zu zeigen, und ihm durch den Anblick der lärmenden Vorbereitungen zum Geschäft und Vergnügen, den der Fluß in dieser frühen Tagesstunde darbietet, Unterhaltung und Spaß zu machen. Aber bald setzte sie es nieder, verbarg das Gesicht in ihrem Halstuch und ließ den hervorbrechenden Tränen freien Lauf. Kein Ausdruck von Teilnahme oder Lust leuchtete aus diesem abgemagerten Krankengesicht. Erinnerungen hatte das Kind nicht viel, aber sie waren sämtlich von derselben Art: alle knüpften sich an die Armut und das Elend seiner Eltern. Stundenweise saß es auf den Knien seiner Mutter und beobachtete mit kindischem Mitgefühl die Tränen, die sich über ihre Wangen stahlen. Dann schlich es sich still in einen dunklen Winkel und schluchzte sich in den Schlaf. Die rauhe Wirklichkeit des Lebens, mit so vielen seiner traurigsten Entbehrungen – Hunger, Durst, Kälte und Mangel – hatte es seit dem ersten Aufdämmern seiner Vernunft in seiner ganzen Ausdehnung erfahren; und ob es gleich die Gestalt eines Kindes hatte, so fehlten ihm doch der leichte Sinn, das freundliche Lachen und die funkelnden Augen.
    Der Vater und die Mutter sahen das Kind und dann einander mit Gedanken des furchtbarsten Seelenschmerzes an, denen sie keine Worte zu geben wagten. Der gesunde, starke Mann, der sonst beinahe jede Anstrengung hätte ertragen können, schwand unter dem lastenden Druck der Einsperrung und der ungesunden Luft eines vollgepfropften Gefängnisses sichtlich dahin. Die zarte Frau wankte unter den vereinten Wirkungen körperlicher und geistiger Leiden dem Grabe entgegen; an des Kindes Herzen nagte der Tod.
    Der Winter kam und mit ihm die kalte regnerische Witterung, die so viele Wochen lang anhält. Das unglückliche Weib hatte sich in ein armseliges Zimmer in der Nähe des Ortes, wo ihr Gatte gefangensaß, zurückgezogen. Obgleich die Veränderung durch ihre zunehmende Armut notwendig gemacht worden war, so fühlte sie sich doch jetzt glücklicher, denn sie war ihm

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