Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
besonderem Grade auf sich zu ziehen. Es ist also klar, daß an der Person, oder in den Manieren dieses Mannes, oder in beiden etwas liegen mußte, was Herrn Wellers Aufmerksamkeit besonders anzog. Ob das der Fall war oder nicht, müssen wir der Beurteilung des Lesers überlassen, wenn wir das Benehmen des fraglichen Individuums geschildert haben werden.
Als der Mann das grüne Tor hinter sich abgeschlossen hatte, ging er, wie wir schon zweimal bemerkt haben, mit schnellen Schritten im Hofe vorwärts. Aber kaum hatte er Herrn Weller zu Gesicht bekommen, als er anhielt und stillstand, als ob er im Augenblicke unschlüssig geworden wäre, was er tun sollte. Da das grüne Tor hinter ihm abgeschlossen war, und der Hof keinen andern Ausgang hatte, als den in der Front, so gelangte er natürlich bald zu dem Entschluß, er müsse an Herrn Samuel Weller vorbei, um hinauszukommen. Er nahm also seinen schnellen Schritt wieder auf und starrte gerade vor sich hin, während er weiterging. Das Außerordentlichste an dem Mann war aber, daß er sein Gesicht in die fürchterlichsten und entsetzlichsten Fratzen verzerrte, die man jemals gesehen hat. Noch nie ward ein Gebilde der Natur durch plastische Verstellung in einem Augenblicke so kunstreich maskiert, wie das Gesicht dieses Menschen durch seine Mimik.
»Nun« – sagte Herr Weller zu sich selbst, als der Mann näher kam. »Ich hätte darauf schwören mögen, er sei’s.«
Der Mann kam herbei, und sein Gesicht war noch furchtbarer entstellt, als je.
»Ich könnte einen Eid darauf ablegen, es ist sein schwarzes Haar und sein maulbeerfarbener Anzug«, sagte Herr Weller: »nur habe ich bis jetzt noch nie ein solches Gesicht gesehen.«
Während Herr Weller das sagte, nahmen die Züge des Mannes einen dämonischen, scheußlichen Ausdruck an. Er mußte jedoch ganz nahe an Sam vorüber, und der forschende Blick dieses Herrn erkannte trotz dieser furchtbaren Gesichtsverzerrungen doch etwas, was Herrn Hiob Trotters kleinen Äuglein glich, deutlich genug, um vor einer Verwechselung sicher zu sein.
»Holla, guter Freund«, schrie Sam überlaut.
Der Fremde stand still.
»Holla«, widerholte Sam in noch rauherem Tone.
Der Mann mit dem fürchterlichen Gesicht sah mit der größten Überraschung den Hof hinauf und den Hof hinunter und an den Fenstern der Häuser empor – überall hin, nur nicht auf Sam Weller – und tat dann einen Schritt weiter, als er durch einen dritten Ruf wieder zum Stehen gebracht wurde.
»Holla, mein guter Freund«, – schrie Sam zum drittenmal.
Jetzt gab’s kein Ausweichen mehr; der Fremde mußte endlich Sam Wellern gerade ins Gesicht sehen.
»Es hilft doch nichts – Hiob Trotter«, sagte Sam. »Lassen Sie diese Alfanzereien. Sie sind nicht so außerordentlich schön, daß Sie die paar natürlichen Züge in Ihrem Gesicht wegzuwerfen brauchen. Bringen Sie Ihre Augen nur wieder in gewöhnliche Lage, oder ich schlage sie Ihnen aus dem Kopf heraus. Hören Sie?«
Da Herr Weller durchaus geneigt schien, seine Worte zur Tat werden zu lassen, so gestattete Herr Trotter seinem Gesicht, allmählich seinen ursprünglichen Ausdruck wieder anzunehmen, und rief mit freudigem Erstaunen:
»Was seh’ ich? Herr Walker!«
»Ach was!« versetzte Sam, »es macht Ihnen Freude, mich zu sehen, – nicht wahr?«
»Freude!« rief Hiob Trotter – »o, Herr Walker, hätten Sie nur gewußt, wie ich mich nach diesem Wiedersehen sehnte. Es ist zu viel, Herr Walker; ich kann es nicht ertragen, nein, ich kann nicht.«
Und mit diesen Worten brach Herr Trotter in einen Strom von Tränen aus, umschlang Herrn Weller mit den Armen und drückte ihn, im Übermaß der Freude, fest ans Herz.
»Gehen Sie«, rief Sam, über dieses Benehmen höchlich entrüstet und vergeblich bemüht, sich der Umarmung seines enthusiastischen Freundes zu entziehen. – »Gehen Sie weg, sag’ ich Ihnen. Was heulen Sie denn so über mich hinein, Sie Handfeuerspritze?«
»Weil es mir so viel Freude macht. Sie zu sehen«, versetzte Hiob Trotter, Herrn Weller allmählich loslassend, nachdem die ersten Symptome von dessen Kampfbegierde verschwunden waren. »Oh, Herr Walker, das ist zu viel.«
»Zu viel?« wiederholte Sam, »Ich glaube auch, es ist zu viel.«
»Nun, was haben Sie mir denn zu sagen, he?«
Herr Trotter gab keine Antwort, denn sein kleines rosafarbenes Taschentuch hatte vollauf zu tun.
»Was haben Sie mir denn zu sagen, ehe ich Ihnen den Kopf einschlage?« wiederholte Weller in drohendem
Weitere Kostenlose Bücher