Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
war ich, Sir«, erwiderte Hiob mit einem schweren Seufzer, »ich war der Abgott der Schule.«
»Ach, das wundert mich nicht«, meinte Sam, »Was muß das für Ihre glückliche Mutter eine Freude gewesen sein!«
Bei diesen Worten drückte Herr Hiob Trotter einen Zipfel des rosafarbenen Taschentuchs in den Winkel eines jeden seiner beiden Augen und fing bitterlich zu weinen an.
»Was ist’s doch eigentlich mit diesem Menschen?« sagte Sam unwillig. »Die Wasserwerke von Chelsea sind nichts gegen Sie: was zerfließen Sie schon wieder in Tränen – macht’s etwa das Bewußtsein Ihrer Schurkerei?«
»Ich kann meine Gefühle nicht unterdrücken, Herr Weller«, antwortete Hiob nach einer kurzen Pause. »Wer hatte sich auch träumen lassen, daß mein Herr das Gespräch argwöhnte, das ich mit dem Ihrigen hatte, und daß er mich in einer Postkutsche wegbringen lassen würde, nachdem er zuvor die sanfte junge Dame und die Vorsteherin der Schule zu der Aussage überredet hatte, sie wüßten nichts von ihm. Ach, es schaudert mich, Herr Weller, wenn ich daran denke, daß er die Arme nur verließ, um einer besseren Spekulation nachzugehen.«
»Also so verhielt sich die Sache – wirklich?« fragte Herr Weller.
»Sie dürfen mir aufs Wort glauben«, erwiderte Hiob.
»Gut«, sagte Sam, als sie jetzt am Gasthofe angekommen waren; »ich möchte gern ein wenig mit Ihnen plaudern, Hiob. Wenn Sie sonst nicht versagt sind, würde es mich freuen, Sie so gegen acht Uhr im großen weißen Rosse zu sehen.«
»Ich werde mich mit Vergnügen einfinden«, sagte Hiob.
»Sie werden wohl daran tun«, erwiderte Sam mit einem vielsagenden Blick, »oder ich suche Sie sonst vielleicht hinter dem grünen Tore auf, und dann wäre es möglich, daß ich Sie ausstäche.«
»Ich werde mich gewiß einstellen,« bemerkte Herr Trotter, drückte Herrn Weller mit dem größten Eifer die Hand und entfernte sich.
»Nimm dich in acht, Hiob Trotter«, sagte Sam, ihm nachsehend; »nimm dich in acht, oder du dürftest diesmal den Kürzeren ziehen; denn gewiß, ich lasse mich nicht zum zweitenmal hinters Licht führen.«
Nachdem Herr Weller diesen Monolog gehalten und Hiob so lange mit seinen Blicken verfolgt hatte, bis dieser verschwunden war, machte er sich auf den Weg nach seines Herrn Schlafzimmer.
»Es ist alles im Zug, Sir«, sagte Sam.
»Was ist im Zug, Sam?« fragte Herr Pickwick.
»Ich habe sie ausfindig gemacht, Sir«, antwortete Sam.
»Ausfindig gemacht? Wen?«
»Den sauberen Spitzbuben und den melancholischen Kerl mit dem schwarzen Haar.«
»Unmöglich, Sam!« rief Herr Pickwick heftig aus. »Wo sind sie, Sam – wo sind sie?«
»Pst – pst«, erwiderte Herr Weller und setzte Herrn Pickwick, während er ihm beim Ankleiden half, den Operationsplan auseinander, den er entworfen hatte.
»Aber wann soll dieses geschehen, Sam?« fragte Herr Pickwick.
»Alles zu rechter Zeit, Sir«, erwiderte Sam.
Ob es übrigens zu rechter Zeit geschah oder nicht, werden wir später sehen.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Worin Herr Peter Magnus eifersüchtig wird und die Dame von mittlerem Alter einen Verdacht schöpft, der die Pickwickier dem Arme der Gerechtigkeit überliefert.
Als Herr Pickwick in das Zimmer trat, worin er mit Herrn Peter Magnus den vorhergehenden Abend verbracht, hatte sich dieser bereits mit dem größten Teil des Inhalts der beiden Reisesäcke, des ledernen Hutfutterals und des Löschpapierpakets so vorteilhaft wie möglich herausgeputzt, und ging im Zustande der höchsten Aufregung und Gemütsbewegung im Zimmer auf und nieder.
»Guten Morgen, Sir«, begann Herr Peter Magnus. »Was sagen Sie zu mir?«
»Das muß einen großen Effekt machen – in der Tat«, erwiderte Herr Pickwick, den Anzug des Herrn Magnus mit gutmütigem Lächeln betrachtend.
»Ja, ich glaube es selbst«, sagte Herr Magnus. »Herr Pickwick, ich habe meine Visitenkarte hinaufgeschickt.«
»Was Sie da sagen!« entgegnete Herr Pickwick.
»Ja: und sie ließ mir durch den Kellner sagen, sie erwarte mich um elf Uhr – um elf Uhr, Sir: es fehlt nur noch eine Viertelstunde.«
»Eine kurze Zeit«, bemerkte Herr Pickwick.
»Ja, sie ist ziemlich kurz«, erwiderte Herr Magnus, »etwas zu kurz, um sich wohl dabei zu fühlen – meinen Sie nicht, Herr Pickwick?«
»Selbstvertrauen tut in solchen Fällen sehr viel«, bemerkte Herr Pickwick.
»Ich glaube das auch, Sir«, sagte Herr Peter Magnus. »Ich habe übrigens großes Selbstvertrauen, Sir. Und in der Tat, Herr
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