Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
der menschlichen Natur sämtliche Aufträge seines Herrn mit der unzerstörbaren guten Laune und der unbesiegbaren Seelenruhe, die zu seinen hervorstechendsten und liebenswürdigsten Eigenschaften gehörten.
Dann hatte er sich mit einem sehr angenehmen kleinen Mittagsmahl erquickt. Nun wartete er in der Schenkstube auf das warme Getränk, wodurch er sich Herrn Pickwicks Aufforderung gemäß nach den Mühseligkeiten seiner Morgenwanderung stärken wollte, als ein junger Bursche von etwa drei Fuß Höhe, dessen härene Mütze und barchente Überhosen, sowie seine ganze übrige Kleidung den lobenswerten Ehrgeiz verrieten, sich mit der Zeit zur Würde eines Stallknechts zu erheben, in den Hausflur des Georg und Geier trat, zuerst die Treppen, dann den Gang und endlich die Schenkstube durchmusterte, als suche er jemand, an den er einen Auftrag habe. Das Kellermädchen, die es für nicht unwahrscheinlich hielt, besagter Auftrag könne den Tee- und andern Löffeln gelten, rief dem Knaben zu:
»He da, Junge, was machst du hier?«
»Ist niemand namens Sam da?« fragte der Junge mit lauter Diskantstimme.
»Wie ist der Zuname?« fragte Sam, sich umblickend.
»Tjä, wie kann ich das wissen?« erwiderte der junge Herr unter der härenen Kappe barsch.
»Du bist ein hitziges Kerlchen, du«, sagte Herr Weller. »Aber ich würde an deiner Stelle die scharfe Kante nicht so sehr herauskehren, sie könnte dir einmal stumpf geschlagen werden. Wie kommst du dazu, in ein Hotel zu gehen und mit der Höflichkeit eines wilden Indianers nach einem Sam zu fragen?«
»Ein alter Herr hat es mich geheißen«, antwortete der Bursche.
»Was für ein alter Herr?« fragte Sam mit tiefer Verachtung.
»Der Herr, der die Postkutsche nach Ipswich führt und bei uns absteigt«, erwiderte der Knabe. »Er sagte gestern morgen zu mir, ich solle heute mittag in den Georg und Geier gehen und nach Sam fragen.«
»Das ist mein Vater, Schätzchen«, sagte Herr Weller mit einem erläuternden Blick auf die junge Dame in der Schenkstube: »ich glaube wahrhaftig, er weiß meinen Zunamen nicht mehr. Nun gut, was will er denn von mir, du Frechdachs?«
»Sie sollen«, erwiderte der Knabe, »heute abend um sechs Uhr nach unserm Hause kommen, wo er Sie zu sehen wünscht, – in den Blauen Bären auf dem Leadenhall-Markt. Soll ich sagen, daß Sie kommen werden?«
»Ja, Sie können das melden, Sir«, erwiderte Sam.
Und mit dieser Vollmacht entfernte sich der junge Gentleman, indem er sämtliche Echos in George Yard durch verschiedene keusche und äußerst korrekte Nachahmungen von Kutscherliedern aufweckte, die er mit einer wirklich sehr vollen und umfangreichen Stimme pfiff.
Nachdem Herr Weller Urlaub von Herrn Pickwick erhalten hatte, der in seinem Zustand der Aufregung und Angst gern allein blieb, machte er sich lange vor der bestimmten Stunde auf den Weg. Da er noch über hinreichende Zeit verfügte, schlenderte er nach Mansion House, machte dort halt und musterte mit der Ruhe eines Philosophen die zahllosen Kutschen, die dort standen. Sie treffen dort zusammen zum großen Schrecken und zur Beunruhigung der alten Damenwelt, die in diesem Viertel wohnt. Nachdem er dort etwa ein halbes Stündchen verweilt, kehrte Herr Weller um und begann durch eine Menge Nebenstraßen den Weg nach dem Leadenhall- Markt einzuschlagen. Da er nun seine überflüssige Zeit darauf verwandte, bei allen Gegenständen, die sich seinen Blicken darboten, stehenzubleiben und sie zu betrachten, so darf man sich nicht wundern, daß Herr Weller auch vor dem Fenster eines kleinen Buch- und Bilderhändlers halt machte. Das muß jedoch ohne weitere Erklärung auffallend erscheinen; denn Herr Weller fuhr beim Anblicke dieser zum Verkauf ausgestellten Bilder plötzlich zusammen, stieß mit dem rechten Fuß heftig auf den Boden und rief lebhaft aus:
»Hätte ich das nicht gesehen, so hätte ich wahrhaftig die ganze Geschichte vergessen, bis es zu spät gewesen wäre.«
Das Bild, an dem Sam Wellers Augen hingen, war ein mit starken Farben aufgetragenes Gemälde zweier durch einen Pfeil verbundener Menschenherzen, die auf einem lustigen Feuer gebraten wurden, indem ein Kannibale und eine Kannibalin, beide in modernem Schmuck, der Herr in einem blauen Frack und weißen Beinkleidern, die Dame in dunkelrotem Schal mit gleichfarbigem Sonnenschirm in der Hand, sich auf einem mit Kies bestreuten Schlangenpfade gierigen Blickes dem Mahle näherten. Ein entschieden unanständig gekleideter junger Herr
Weitere Kostenlose Bücher