Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
über diese Sache gesagt, nachdem du sogar deine Stiefmutter gesehen hast und mit ihr zusammen gewesen bist, was doch, dächte ich, eine moralische Lehre war, die niemand bis zu seinem Sterbestündchen vergessen sollte: ei, ei, Sammy – nach alledem hätte ich so etwas nimmermehr von dir erwartet.«
Diese Betrachtungen schienen den guten alten Mann zu überwältigen. Er führte Sams Krug an seine Lippen und trank ihn aus.
»Was ist es denn aber so Arges?« sagte Sam.
»Ja gewiß, Sammy«, erwiderte Herr Weller: »es wird für mich in meinen alten Tagen ein großes Leid sein. Aber ich bin, Gott sei Dank, schon ziemlich zäh geworden, und das ist noch mein Trost, wie der alte Truthahn bemerkte, als der Pächter sagte, er werde ihn wohl für den Londoner Markt schlachten müssen.«
»Was wird euch denn das für große Schmerzen machen?« fragte Sam.
»Wenn ich dich verheiratet sehen muß, Sammy: wenn ich in dir ein betörtes Schlachtopfer erblicken muß, das in seiner Unschuld glücklich zu werden glaubt«, erwiderte Herr Weller. »Ach, Sammy, das ist eine schreckliche Prüfung für ein Vaterherz.«
»Unsinn!« sagte Sam. »Ich will mich ja nicht verheiraten: also braucht Ihr Euch deswegen keine Sorgen zu machen: ich weiß, daß ihr Euch auf solche Sachen versteht. Laßt Eure Pfeife kommen, und ich will Euch den Brief vorlesen.«
Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es die Aussicht auf die Pfeife oder der tröstliche Gedanke war, daß ein unwiderstehlicher Heiratstrieb im Blut der Familie stecke, was Herrn Wellers Unruhe beschwichtigte und seinen Kummer verscheuchte. Wir möchten übrigens fast behaupten, daß dieses Resultat durch die Vereinigung beider Trostgründe erzielt wurde, denn er wiederholte den zweiten sehr häufig leise für sich, während er klingelte, um sich den ersten zu verschaffen. Sodann zog er seinen Überrock aus, zündete die Pfeife an und stellte sich mit dem Rücken gegen das Feuer, damit er dessen volle Hitze empfing und sich zugleich an das Kamingesims anlehnen konnte. Schließlich wandte er sich an Sam, und bat ihn mit einer durch den besänftigenden Tabak bedeutend aufgeheiterten Miene um Feuer.
Sam tauchte seine Feder ein, um sich zu allen nötigen Verbesserungen bereit zu halten, und begann mit theatralischen Pathos:
»›Liebliches –‹«
»Halt!« sagte Herr Weller klingelnd. »Ein Doppelglas von dem Bewußten, liebes Kind!«
»Ganz recht, Sir«, erwiderte das Mädchen, das mit großer Schnelligkeit erschien und verschwand, wieder erschien und wieder verschwand.
»Sie scheinen Euren Geschmack hier schon zu kennen«, bemerkte Herr Sam.
»Ja«, erwiderte sein Vater, »ich bin früher oft hier gewesen. Aber fahr nur jetzt fort, Sammy.«
»›Liebliches Wesen!‹« wiederholte Sam.
»Das sind am Ende gar Verse?« unterbrach der Vater.
»Nein, nein!« erwiderte Sam.
»Das freut mich«, sagte Herr Weller. »Verse sind etwas ganz Unnatürliches: es spricht niemand in Versen, außer der Büttel an Boxtagen, oder die Leute, die Warrens Schuhwichse oder Makassaröl ausschreien, und anderes solches Lumpengesindel. Laß es dir darum nie einfallen, in Versen zu sprechen.«
Herr Weller führte mit kritischer Feierlichkeit seine Pfeife wieder an den Mund. Sam aber begann aufs neue und las wie folgt:
»›Liebliches Wesen, ich fühle mich ganz beschmiert –‹«
»Das ist kein schicklicher Ausdruck«, sagte Herr Weller, die Pfeife aus dem Mund nehmend.
»Nein, es heißt nicht ›beschmiert‹«, wandte Sam ein, den Brief ans Licht haltend, »es heißt ›beschämt‹, es ist ein Tintenklecks da – ›ich fühle mich beschämt!‹«
»Sehr gut«, sagte Herr Weller: »nur weiter.«
»›Fühle mich beschämt und gänzlich ver –‹ Da weiß ich schon wieder nicht, wie das Wort heißt«, sagte Sam, während er in vergeblichen Bemühungen, seinem Gedächtnis nachzuhelfen, mit der Feder am Kopf kratzte.
»Warum siehst du nicht hinein?« fragte Herr Weller.
»Ich sehe freilich hinein«, antwortete Sam; »aber da ist schon wieder so ein Tintenklecks; ich erkenne blos ein v und ein e«.
»Verloren vielleicht?« meinte Herr Weller.
»Nein, das nicht«, sagte Sam, ›»verzaubert‹ – das ist’s!«
»Das ist aber kein so gutes Wort als verloren, Sammy«, sagte Herr Weller ernsthaft.
»Meint Ihr nicht?« fragte Sam.
»Nein, gewiß nicht«, erwiderte sein Vater.
»Glaubt Ihr aber nicht, daß es eine stärkere Bedeutung hat?« fragte Sam weiter.
»Es mag vielleicht
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