Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
mit ein paar Flügeln und sonst weiter nichts besorgte das Kochen. In einiger Entfernung erblickte man den Kirchturm von Langham Place. Das Ganze stellte einen Liebesbrief vor, wovon, laut der geschriebenen Ankündigung im Fenster, hier ein großes Lager vorrätig war. Der Buchhändler pries seinen Kunden das Stück zum herabgesetzten Preis von einem Schilling und sechs Pencen an.
»Ich hätte es vergessen; ich hätte es wahrhaftig vergessen«, sagte Sam, ging dann sogleich in den Laden und verlangte einen Bogen seines Briefpapier mit goldenem Rand, nebst einer hart geschnittenen Feder, die aber nicht spritzen dürfe. Nachdem er diese Artikel schnell erhalten, ging er, ganz anders als er gekommen war, mit eiligen Schlitten, nach dem Leadenhall-Markt. Hier sah er sich um und erblickte ein Schild, auf dem die Kunst des Malers etwas dargestellt hatte, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einem himmelblauen Elefanten hatte. Der Elefant hatte nur statt des Rüssels eine Adlernase. Da Sam mit Recht schloß, dies sei leibhaftig der Blaue Bär, so trat er in das Haus und fragte nach seinem Vater.
»Er wird erst in drei Viertelstunden oder noch später kommen«, sagte die junge Dame, die den häuslichen Geschäften des Blauen Bären vorstand.
»Schön, mein Schatz«, antwortete Sam. »Haben Sie die Güte, mir für neun Pence Branntwein und Wasser und zugleich Schreibzeug zu geben.«
Das Verlangte wurde alsbald in das kleine Gastzimmer gebracht, und nachdem die junge Dame die Kohlen sorgfältig zusammengedrückt hatte, damit sie nicht zu hell lodern möchten, nahm sie das Schüreisen mit, um die Möglichkeit abzuschneiden, ohne vorher eingeholte Mitwissenschaft und Erlaubnis des »Blauen Bären« das Feuer noch mehr zu schüren. Sam Weller setzte sich an einen Tisch nahe am Kamin, zog sein goldgerändertes Briefpapier nebst der hartgeschnittenen Feder aus der Tasche. Sodann betrachtete er die Feder sorgfältig, ob sie nicht vielleicht ein Haar in der Spalte habe, blies den Tisch ab, um keine Brodkrumen unter das Papier zu bekommen, schlug seine Rockärmel zurück, legte seine Ellbogen auf und schickte sich an zu schreiben.
Für Damen und Herren, die sich in der Wissenschaft der Federführung keine praktischen Kenntnisse erworben haben, ist das Briefschreiben keineswegs eine leichte Aufgabe. Sie halten es in solchen Fällen für unumgänglich notwendig, daß der Schreibende seinen Kopf auf den linken Arm niederbeugt, so daß die Augen möglichst in gleicher Höhe mit dem Papier liegen, und daß, während Seitenblicke auf die eben entstehenden Buchstaben fallen, die Zunge die entsprechenden Laute ausspricht. So zweckmäßig und förderlich diese Bewegungen auch unbestreitbar für originelle Kompositionen sein mögen, so verzögern sie doch die Fortschritte des Verfassers einigermaßen. Sam hatte unbewußt schon volle anderthalb Stunden geschrieben, wobei er häufig mißratene Buchstaben mit seinem kleinen Finger auslöschte und neue an ihre Stelle setzte; dabei war oft große Nachhilfe nötig, um sie durch die alten Flecken hindurch sichtbar zu machen. Auf einmal wurde er durch das Aufgehen der Tür und den Eintritt seines Vaters in seinem Geschäft unterbrochen.
»Willkommen, Sammy!« sagte der Vater.
»Willkommen, Alter!« antwortete der Sohn, seine Feder niederlegend. »Wie lautet das letzte Bulletin von der Stiefmutter?«
»Frau Weller hatte eine recht gute Nacht; heute morgen aber ist sie äußerst launisch und widerwärtig; unterzeichnet: Tony Weller, Esquire. Das ist die letzte Nachricht, die ausgegeben wurde, Sammy«, antwortete Herr Weller, während er sein Halstuch löste.
»Also noch nicht besser?« fragte Sam.
»Im Gegenteil, alle Symptome sind schlimmer geworden«, entgegnete Herr Weller kopfschüttelnd. »Aber was hast du denn hier? – Willst du vielleicht gar ein gelehrter Mann werden? – He, Sammy?«
»Ich bin schon fertig«, sagte Sam etwas verlegen; »ich habe etwas geschrieben.«
»Das sehe ich«, erwiderte Herr Weller. »Aber hoffentlich doch nicht an ein junges Frauenzimmer, Sammy?«
»Warum soll ich es nicht sagen?« versetzte Sam. »Es ist ein Liebesbrief.«
»Was ist’s?« rief Herr Weller, bei diesem Wort sichtbarlich von Schauder erfüllt.
»Ein Liebesbrief«, wiederholte Sam.
»Samuel! Samuel!« sagte Herr Weller in vorwurfsvollem Tone: »das hätte ich von dir nicht erwartet. Nach den Warnungen, die dir deines Vaters fehlerhafte Neigungen hätten sein sollen, nachdem ich dir so viel
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