Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
erzählen. Zwei von meinen Freunden, die auf der Oxforder Straße fahren und gerne einen lustigen Spaß machen, haben den Hirtenhelfer ins Schlepptau genommen, und wenn er in den Ebenezer-Verein kommt (woran gar nicht zu zweifeln ist; denn sie werden ihn bis an die Tür führen und nötigenfalls auch hineinschieben), so wird er so voll von Grog sein, wie er es nur jemals im Marquis von Granby gewesen ist, und das heißt gewiß hoch geschworen.«
Bei diesen Worten schlug Herr Weller senior abermals ein außerordentliches Gelächter an und verfiel aufs neue in einen Zustand teilweiser Erstickung.
Nichts hätte mit Sam Wellers Gefühlen und Wünschen mehr übereinstimmen können, als dieser Plan zur Entlarvung des rotnasigen Heuchlers, und da die Zeit zur Versammlung herannahte, so begaben sich Vater und Sohn miteinander auf den Weg nach Bricklane. Sam vergaß indessen nicht, seinen Brief sorglich auf einem Postbureau abzugeben.
Die monatlichen Versammlungen der Bricklane-Abteilung des vereinigten großen Ebenezer-Mäßigkeitsvereins wurden in einem weiten, freundlich und luftig gelegenen Saale gehalten, zu dem man auf einer sichern und bequemen Leiter hinaufklettern konnte. Präsident war der auf dem rechten Wege wandelnde Herr Anthony Humm, ein bekehrter Spritzenmann, derzeit Schulmeister und gelegentlich reisender Prediger. Das Sekretariat bekleidete Herr Jonas Mudge, Inhaber eines Kramladens, ein enthusiastisches, uneigennütziges Mitglied, das an die Gesellschaft Tee verkaufte. Vor dem Beginn der Geschäfte nämlich tranken die Damen, auf Bänken sitzend, so lange Tee, bis sie endlich glaubten, es sei Zeit aufzuhören, während auf dem mit einem grünen Tuche überzogenen Amtstische, jedermann sichtbarlich, eine große hölzerne Geldbüchse stand, und hinter ihr der Sekretär, der jeden neuen Zuwachs der darin verborgenen Kupfermünzsammlung mit holdseligem Lächeln quittierte.
An diesem Abend nun tranken die Damen wirklich unglaublich viel Tee zum großen Abscheu des Herrn Weller senior , der trotz aller warnenden Winke Sams mit dem unverstelltesten Erstaunen nach allen Richtungen herumglotzte.
»Sammy«, flüsterte Herr Weller, »wenn man nicht morgen früh mehrere von diesen Weibsbildern abzapfen muß, so bin ich dein Vater nicht, und damit Punktum. Sieh nur die Alte neben mir, die ersäuft sich wahrhaftig noch im Tee.«
»Könnt Ihr denn gar nicht ruhig sein?« murmelte Sam.
»Sam«, flüsterte Herr Weller einen Augenblick darauf im Tone tiefer Bewegung; »merke dir, was ich sage: wenn der Sekretär dorten nur noch fünf Minuten lang so fortmacht, so muß er bersten vor lauter Butterbroten und Wasser.«
»Ja, so laßt ihn doch, wenn es ihm Vergnügen macht«, erwiderte Sam; »es geht Euch doch nichts an.«
»Wenn es noch länger so fortgeht, Sammy«, flüsterte Herr Weller in demselben Tone weiter, »so halte ich es für meine Menschenpflicht, aufzustehen und mich an den Präsidenten zu wenden. Dort auf der dritten Bank sitzt ein junges Frauenzimmer, das bereits fünfzehn große Tassen getrunken hat; sie quillt ja schon sichtbarlich vor meinen Augen auf«.
Ohne allen Zweifel hätte Herr Weller seine wohlwollende Absicht sofort ausgeführt, hätte ihn nicht zum Glück das laute Geräusch, das durch Abräumen der Tassen und Kannen entstand, zum Bewußtsein gebracht, daß die Teezeit vorüber war. Nach Entfernung des Geschirres wurde der grüne Tisch mitten in den Saal gestellt, und die Geschäfte des Abends von einem sehr lebhaften kleinen Mann mit Kahlkopf und lichtbraunen Kniehosen begonnen, der schnell und mit augenscheinlicher Gefahr, seine zwei in besagte lichtbraune Hosen eingeschlossene Beinchen zu verlieren, die Leiter hinaufkletterte und also sprach:
»Meine Herren und Damen, ich mache den Vorschlag, daß unser vortrefflicher Bruder, Herr Anthony Humm, den Präsidentenstuhl einnehme.«
Die Damen ließen auf diesen Vorschlag eine auserlesene Sammlung von Taschentüchern wehen, und der unruhige kleine Mann brachte Herrn Humm im buchstäblichen Sinne des Wortes auf den Präsidentenstuhl, indem er ihn an den Schultern nahm und in einen Mahagonisessel warf, der wenigstens früher einmal ein derartiges Möbel vorgestellt hatte.
Das Wehen der Taschentücher erneuerte sich: und Herr Humm, ein Mann mit glattem, aber blassem Gesichte, der beständig schwitzte, verbeugte sich holdselig zur großen Verwunderung der Damen, und nahm sofort mit würdevoller Feierlichkeit seinen Sitz ein. Der kleine Mann in
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