Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
auf derselben hohen Stufe der Weisheit ließ, die sie zuvor innehatten.
Prokurator Buzfuz erhob sich sofort mit aller Majestät und Würde, die die ernste Natur der Verhandlung erheischte. Nachdem er Dodson einige Worte zugeflüstert, auch mit Fogg ein wenig konferiert hatte, zupfte er seinen Mantel über die Schultern, machte seine Perücke zurecht und hielt seine Rede an die Geschworenen.
Er begann mit der Erklärung, daß ihm während seiner ganzen Praxis, ja vom ersten Augenblick an, da er sich auf das Studium und die Ausübung des Rechtes gelegt, noch nie ein Fall vorgekommen sei, der ihn so im Innersten ergriffen oder mit einem solch klaren Bewußtsein der auf ihm lastenden Verantwortlichkeit erfüllt habe, – einer Verantwortlichkeit, unter deren Gewicht er erlegen wäre, hätte ihn nicht die feste, ja einer positiven Gewißheit gleichkommende Überzeugung aufrechterhalten, daß die Sache der Wahrheit und Gerechtigkeit, oder mit andern Worten, die Sache seiner schwer verletzten und auf schmähliche Art Hintergangenen Klientin bei den edelgesinnten und einsichtsvollen zwölf Männern, die er vor sich sehe, obsiegen müsse.
Die Sachwalter beginnen in der Regel auf diese Art, weil sie sich dadurch bei den Geschworenen in ein gutes Licht setzen, und ihnen eine ungeheure Meinung von ihrem eigenen Scharfsinn beibringen. Auch hatte diese Einleitung sogleich eine sichtbare Wirkung, denn mehrere Geschworene fingen mit dem größten Eifer an, lange Notizen aufzuzeichnen.
»Sie haben von meinem gelehrten Freunde vernommen«, fuhr Prokurator Buzfuz fort, obgleich er wohl wußte, daß die Herren von der Jury von seinem gelehrten Freunde so gut wie nichts vernommen hatten. »Sie haben von meinem gelehrten Freunde vernommen, meine Herren, daß es sich hier um den Bruch eines Eheversprechens handelt und ein Schadenersatz von 1 500 Pfund verlangt wird. Aber die näheren Tatsachen und Umstände haben Sie von meinem gelehrten Freunde nicht vernommen, wie es meinem gelehrten Freunde auch nicht zukam, sie Ihnen zu sagen. Diese Tatsachen und Umstände, meine Herren, werde ich Ihnen nunmehr ausführlich auseinandersetzen und Ihnen eine unverwerfliche Zeugin vorführen, die sie beweisen wird.«
Um dem Wort »beweisen« einen kraftvollen Nachdruck zu geben, schlug Herr Prokurator Buzfuz gewaltig auf den Tisch und blickte die Herren Dodson und Fogg an, die ihm Bewunderung seines Talents und dem Beklagten eine trotzige Herausforderung zuwinkten.
»Die Klägerin, meine Herren«, fuhr Prokurator Buzfuz mit einer sanften, melancholischen Stimme fort, »die Klägerin ist eine Witwe: ja, meine Herren, eine Witwe. Der selige Herr Bardell schied, nach dem er sich viele Jahre lang als Wächter der königlichen Einkünfte der Achtung und des Vertrauens seines Souveräns erfreut, sanft und lautlos aus dieser Welt, um in einer andern die Ruhe und den Frieden zu suchen, die ein Zollhaus nimmermehr gewähren kann.«
Bei dieser pathetischen Beschreibung vom Abscheiden des Herrn Bardell, der in einem Wirtshauskeller mit einer Bierkanne in den Kopf geschlagen worden war, bebte die Stimme des gelehrten Anwalts, und er fuhr mit großer Rührung also fort:
»Einige Zeit vor seinem Tode erblickte er noch sein Ebenbild in einem Söhnlein, und mit diesem Söhnlein, dem einzigen Liebespfand von ihrem entschlafenen Zollbeamten, zog sich Frau Bardell von der Welt zurück, suchte die Abgeschiedenheit und Ruhe der Goswellstraße, und dort hing sie an ihrem vorderen Fenster eine Anzeige aus, des Inhalts: ›Möblierte Zimmer für einen ledigen Herrn. Zu erfragen drinnen.‹«
Prokurator Buzfuz hielt hier inne, während mehrere Herrn von der Jury sich dieses Dokument aufzeichneten.
»Hatte die Anzeige kein Datum?« fragte einer der Geschworenen.
»Nein, mein Herr«, erwiderte Prokurator Buzfuz, »aber ich bin ermächtigt zu sagen, daß sie gerade vor drei Jahren ans Fenster der Klägerin gesteckt wurde. Ich muß die Aufmerksamkeit der Herren Geschworenen auf die wörtliche Abfassung dieses Dokuments lenken. ›Möblierte Zimmer für einen ledigen Herrn.‹ Frau Bardells Ansichten über das andere Geschlecht gründeten sich auf eine lange Beobachtung der unschätzbaren Eigenschaften ihres verstorbenen Gatten. Sie hatte keine Furcht – sie hegte kein Mißtrauen – sie hegte keinen Verdacht – sie war voll argloser Zuversicht. ›Herr Bardell‹, sagte die Witwe, ›Herr Bardell war ein Mann von Ehre – Herr Bardell war ein Mann von Wort – Herr
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