Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
als Herr Weller an dem einen und der Schuhmacher an dem andern Ende des Gemachs auf seinem Bett ausgestreckt lagen, während das Kämmerchen von dem Schein eines Nachtlichtes und der Pfeife des Schuhmachers, die wie eine rotglühende Kohle unter dem Tische schimmerte, erleuchtet war. So kurz die Unterhaltung auch war, so nahm sie doch Herrn Weller sehr für seinen Zimmergenossen ein. Sich auf den Ellbogen stützend, schenkte er seinem Äußern eine weit längere Aufmerksamkeit, als er bisher dazu Zeit oder Neigung gehabt hatte.
Es war ein schmutzig aussehender Mann – alle Schuhmacher sind es – und hatte eine starken, struppigen Bart – alle Schuhmacher haben ihn; sein Gesicht war ein seltsames, gutmütiges, krummgezogenes Exemplar aus der Tagelöhnersippschaft, mit einem Paar Augen, die einst einen sehr jovialen Ausdruck gehabt haben mußten, denn sie glänzten auch jetzt noch. Das Alter hatte den Mann auf sechzig und das Gefängnis, der Himmel weiß, auf wieviel Jahre gebracht, so daß sein an Heiterkeit oder Zufriedenheit grenzendes Gesicht sonderbar genug aussah. Es war ein kleiner Mann, und da er durch sein Bett in zwei Hälften geteilt war, so erschien er ungefähr gerade so groß, wie er ohne Beine gewesen sein mußte. Er hatte eine große, rote Pfeife im Munde stecken, aus der er kräftige Wolken blies, und starrte mit einem Ausdrucke beneidenswerter Behaglichkeit ins Licht.
»Sind Sie schon lange hier?« fragte Sam, das Stillschweigen unterbrechend, das seit einiger Zeit drückend auf ihnen lastete.
»Zwölf Jahre«, versetzte der Schuhmacher, bei diesen Worten an dem Mundstück seiner Pfeife kauend.
»Wahrscheinlich einen Befehl des Gerichtshofes verachtet?« fragte Sam.
Der Schuhmacher nickte.
»Schön«, versetzte Sam ernst; »warum beharren Sie in Ihrem Starrsinn, daß Sie Ihr kostbares Leben in diesem großartigen Pfandstall dahinschwinden lassen? Warum geben Sie nicht nach und erklären der Kanzlerschaft, es tue Ihnen sehr leid, daß Sie den Gerichtshof verachtet hätten; Sie wollten es aber nicht wieder tun?«
Der Schuhmacher schob lächelnd seine Pfeife in einen Mundwinkel, brachte sie dann wieder an ihren alten Platz zurück und sagte nichts.
»Warum tun Sie es nicht?« fragte Sam mit eindringlicherem Ernste.
»Ach«, erwiderte der Schuhmacher, »das verstehen Sie nicht. Was glauben Sie, das mich zugrunde gerichtet hat?«
»Nun«, sagte Sam, das Nachtlicht putzend, »vermutlich begann die Sache damit, daß Sie in Schulden kamen, nicht wahr?«
»Noch nie schuldete ich einen Heller«, versetzte der Schuhmacher; »raten Sie noch einmal.«
»Wohlan, Sie kauften vielleicht Häuser, was hier zu Land schwierig genug ist, um wahnsinnig zu werden; oder bauten gar, was ein medizinischer Kunstausdruck für Unheilbarkeit ist?«
Der Schuhmacher schüttelte den Kopf und sagte: »Raten Sie weiter.«
»Sie prozessierten doch hoffentlich nicht?« sagte Sam argwöhnisch.
»In meinem Leben nie«, versetzte der Schuhmacher. »Die Sache ist die, ich wurde durch eine Erbschaft ruiniert.«
»Gehen Sie, gehen Sie«, sagte Sam; »das ist nicht wahr. Ich wünschte mir einen reichen Feind, der mich auf diese Art zu ruinieren suchte. Ich ließe ihn gewähren.«
»Ich dachte mir wohl. Sie würden’s nicht glauben«, fuhr der Schuhmacher, ruhig seine Pfeife rauchend, fort. »An Ihrer Stelle ginge es mir ebenso; aber es ist bei all’dem wahr.«
»Wie ist das aber möglich?« fragte Sam, durch den Blick, den ihm der Schuhmacher zuwarf, schon in seiner Zweifelsucht wankend gemacht.
»Es kam so«, versetzte der Schuhmacher: »Ein alter Herr im Lande drunten, für den ich arbeitete, und von dem ich eine arme Verwandte heiratete – sie starb, Gott habe sie selig, und Dank sei ihm dafür gesagt – ward vom Schlag getroffen und ging heim.«
»Wohin?« fragte Sam, den die zahlreichen Ereignisse des Tages schläfrig gemacht hatten.
»Was weiß ich, wohin er ging?« erwiderte der Schuhmacher, im Hochgenüsse seiner Pfeife durch die Nase sprechend. »Er ging zu den Toten.«
»Ah, so meinen Sie’s?« bemerkte Sam. »Gut.«
»Gut«, sagte der Schuhmacher; »er hinterließ fünftausend Pfund.«
»Und das war sehr schön von ihm«, fiel Sam ein.
»Wovon er mir eintausend vermachte«, fuhr der Schuhmacher fort, »weil ich seine Verwandte geheiratet hatte. Sie verstehen mich?«
»Sehr gut«, murmelte Sam.
»Und von einer großen Menge Nichten und Neffen umringt, die sich unaufhörlich um das Vermögen stritten
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