Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Geleit zu geben. Man brach auf; der Kläger und der Beklagte gingen Arm in Arm, der Gerichtsbote schritt voran und acht wohlgenährte Kutscher bildeten den Nachtrab. Beim Prokuratie-Café machte die ganze Gesellschaft halt, um Erfrischungen zu sich zu nehmen, und als die gesetzlichen Einleitungen getroffen waren, setzte sich der Zug wieder in Bewegung.
In der Fleetstraße trat durch die Laune der acht Herren in der Nachhut, die durchaus zu vieren nebeneinandergehen wollten, eine kleine Störung ein. Man hielt es für notwendig, den Buntscheckigen zurückzulassen, um sich mit einem Zettelträger zu balgen und erst nach Ausfechtung dieses Kampfes von seinen Freunden wieder mitgenommen zu werden. Außer diesen unbedeutenden Zufällen ereignete sich unterwegs nichts Denkwürdiges. Als sie das Fleettor erreichten, nahm die Karawane vom Kläger Abschied und brachte dem Beklagten drei donnernde Lebehoch; und nachdem ihm alle nacheinander die Hand gegeben hatten, verließen sie ihn.
Als Sam zum ungeheuren Erstaunen Rokers und sogar zur augenscheinlichen Rührung des phlegmatischen Teddy dem Wärter förmlich in Gewahrsam gegeben war, ging er alsbald in den Kerker, schritt auf das Zimmer seines Herrn zu und pochte an die Tür.
Herr Pickwick rief: »Herein«.
Sam trat ein, nahm den Hut ab und lächelte.
»Ach, Sam, mein guter Junge«, sagte Herr Pickwick, offenbar erfreut, seinen ergebenen Freund wieder zu sehen. »Es lag nicht in meiner Absicht, gestern durch meine Worte deine Gefühle zu verletzen, mein treuer Junge. Lege ab, Sam, ich will mich jetzt näher erklären.«
»Im Augenblick, Sir?« fragte Sam.
»Jawohl«, antwortete Herr Pickwick: »doch warum soll ich es jetzt nicht?«
»Es wäre mir lieber. Sie verschöben das auf ein anderes Mal, Sir«, sagte Sam.
»Warum?« fragte Herr Pickwick.
»Weil –« begann Sam zögernd.
»Weil was?« fragte Herr Pickwick, durch das Benehmen seines Dieners beunruhigt. »Sprich dich aus, Sam.«
»Weil –« fing Sam wieder an, »weil ich ein kleines Geschäft übernommen habe, das ich jetzt ausführen muß.«
»Welches Geschäft?« fragte Herr Pickwick, über Sams verlegenes Benehmen erstaunt.
»Nichts Besonderes, Sir«, versetzte Sam.
»O, wenn es nichts Besonderes ist«, sagte Herr Pickwick, lächelnd, »so kannst du mir es jetzt gleich sagen.«
»Ich meine, es wäre besser, nachher auf einmal«, erwiderte Sam immer noch zögernd.
Herr Pickwick sah verblüfft drein, sagte aber nichts.
»Die Sache ist die – –«, fing Sam an und blieb stecken.
»Nun«, sagte Herr Pickwick. »Sprich doch aus, Sam.«
»Nun, die Sache ist die –« begann Sam wieder mit verzweifelter Anstrengung. »Aber vielleicht wäre es am besten, ich sähe zuerst nach meinem Bett, ehe ich etwas anderes tue.«
»Nach deinem Bett?« rief Herr Pickwick voll Erstaunen.
»Ja, nach meinem Bett, Sir«, versetzte Sam. »Ich bin ein Gefangener. Ich wurde diesen Nachmittag wegen Schulden verhaftet.«
»Du wegen Schulden verhaftet?« rief Herr Pickwick in einen Stuhl sinkend.
»Ja, wegen Schulden, Sir«, erwiderte Sam; »und der Mann, der mich setzen ließ, will mich nicht mehr herauslassen, bis Sie gehen.«
»Gütiger Himmel! was willst du damit sagen?« rief Herr Pickwick aus.
»Was ich damit sagen will, Sir?« wiederholte Sam. »Wenn es vierzig Jahre lang dauert, so will ich Gefangener bleiben, und ich bin recht froh darüber; und wenn ich zu Newgate säße, so wäre es ganz dasselbe. Jetzt ist die Geschichte heraus, und, hol’ mich der Henker, das ist das Ende vom Lied.«
Mit diesen Worten, die er sehr pathetisch und energisch wiederholte, warf Sam Weller aufs stärkste erregt den Hut auf den Boden, schlug die Arme ineinander und sah seinem Herrn mit einem festen und starren Blick ins Gesicht.
Fünfundvierzigstes Kapitel
Handelt von verschiedenen Kleinigkeiten, die im Fleet vorfielen und von Herrn Winkles geheimnisvollem Benehmen; zeigt auch, wie der Kanzleigefangene endlich erlöst wird.
Herr Pickwick war von Sams inniger Anhänglichkeit zu sehr gerührt, um über seinen raschen Schritt, nämlich seine freiwillige Gefangengebung auf unbestimmte Zeit, Zorn oder Mißfallen zu äußern. Der einzige Punkt, worüber er beharrlich Aufschluß verlangte, war der Name von Sams Gläubiger; aber gerade das wollte Herr Weller beharrlich verschweigen.
»Das bringt durchaus keinen Nutzen«, sagte er nur immer und immer wieder. »Es ist ein nichtsnutziger, schlechtgesinnter, weltlich denkender,
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