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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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mich in der Gluthitze, ob ich nicht lieber hier bleiben sollte. Ich gehe weiter. Ist das zu waghalsig, fordere ich mein Glück zu sehr heraus?
    Ein kleiner Junge ist mit seinem Fahrrad auf der Schotterstraße unterwegs, schnell biegt er vor mir zu einem Gehöft ab.
    Ab jetzt bin ich allein, sieben Kilometer liegen vor mir, links und rechts befinden sich Felder, ab und zu entfernt eine Scheune und Hundegekläffe. Die Vorderräder pflügen durch die Steine, ich wirbele Staub auf. Das Ruckeln dürfte für das Material ebenso anstrengend sein wie für mich, ich fahre auf den Hinterrädern, die Vorderräder flattern in der Luft. Ausbalancieren, antreiben, rollen, ausbalancieren, immer im Rhythmus, konzentriert auf die wenigen Meter vor mir.
    In Calzadilla de los Barros erhält der Pilger im Rathaus den Schlüssel für das etwas außerhalb gelegene Landhaus — aber erst nach der Siesta. Über eine weitere Schotterpiste gelangt man zu dem abgelegenen Refugio, wo es jedoch keine Lebensmittel zu kaufen und keine Bar gibt. Also noch einmal zurück. In dem Lebensmittelgeschäft erzählt mir der Besitzer von Ainitze und Gurutze, die vor zwei Tagen hier vorbeigefahren sind.
    Ich bin allein mit Ludek in dem toskanisch anmutenden Anwesen, in dem bequem fünfzig Menschen übernachten könnten. Ein Arbeitskollege hat mir eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen, wie ferngesteuert rufe ich zurück und diskutiere Dinge, die hier für mich überhaupt keine Bedeutung haben, während mein Blick über die weite Landschaft schweift. Er wünscht mir noch einen schönen Urlaub, ich glaube, ihm ist nicht bewusst, dass ich hier keine Erholungsreise unternehme.
    Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, glücklicher zu sein als hier. Ein Pilger erklärte mir einmal, er könne drei Jahre auf diese Weise verbringen, und rechnete mir vor, dass dafür 20 000 Euro ausreichen würden. Stimmt, es ist schwierig, auf dem Jakobsweg mehr als zwanzig Euro pro Tag auszugeben. Wie sich das Bewusstsein wohl verändern würde, wäre man auf diese einfache Art über einen so langen Zeitraum unterwegs?
     
    Nachts bricht der Reißverschluss-Zipper des alten Schlafsackes in zwei Teile und macht aus dem Mumienschlafsack eine Steppdecke. Hier in der Hitze der Extremadura ist das angenehm, aber wie wird das im kalten Galicien 500 Kilometer weiter nördlich sein? Ich habe einen Ersatzreißverschluss eingepackt, den ich eigentlich schon in Frankfurt noch hatte einnähen lassen wollen, mein griechischer Schneider hatte sich jedoch vehement geweigert. »Besser, du kaufst dir einen neuen Schlafsack!« Ich wollte aber keinen neuen, schließlich hatte mich dieses gute Stück schon 1300 Kilometer weit auf anderen Jakobspfaden begleitet und warm gehalten.
    Hier in Spanien würde ich schon einen dem Alten aufgeschlossenen Schneider finden, und so schlief ich zuversichtlich ein, den Schlafsack wie einen Mantel um mich gewickelt.
    Wieder ist es stockfinster, als ich morgens aufbreche. Schon oft hörte ich die Bemerkung, dass es unmittelbar vor Sonnenaufgang am dunkelsten sei, wenn man dem Nachbarn die Zeitung aus dem Briefkasten angeln wollte, sei das der beste Zeitpunkt. In der Einsamkeit erzähle ich mir selbst solche Witze, um mich aufzuheitern. Meistens gelingt es, einen besseren Comedian habe ich sowieso nicht zur Hand.
     

     
    Der volle Mond taucht den schotternen Feldweg in ein fahles Licht und übertüncht jede Unebenheit. Oft rumpelt mein Vorderrad in irgendein Loch, gelegentlich schlagen aufgewirbelte Steine gegen das Metall. Peng. Die Wegmarkierung ist nicht auszumachen, aber es ist einfach, ich folge meinem Kompass, schließlich geht es immer nach Norden. Rechts von mir geht die Sonne auf.
     

    Mal mehr mal weniger diskrete Wegmarkierungen: Ein kleiner Pfeil, ein großer Klotz
     
    Der Wanderführer, meine Dauerlektüre und mein ständiger Begleiter, warnt vor einem Bach, der ganzjährig Wasser führt. Bald darauf versperrt mir der breite Bach prompt den Weg. Wie jemand, der zögerlich zuerst nur eine Zehe ins Wasser steckt, um die Temperatur zu fühlen, sitze ich am schlammigen Ufer. Zwei Wanderstöcke stecken vor mir im Wasser.
    Ich habe keine Wahl. Hier umzudrehen würde einen halben Tag Umweg bedeuten, direkt vor mir, hinter dem Bach, liegt laut Wegbeschreibung eine breite, ebene Piste. Zentimeter für Zentimeter bewege ich mich vorwärts, während ich im schmatzenden Schlamm versinke. Der Rucksack wird nass und schmutzig, keuchend vor Anstrengung stoppe

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