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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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hinaufzutragen — und wahrscheinlich würde er es sogar tun. Etagenbetten, die auseinandergenommen werden müssen, weil ich mit dem Kopf an den Rost des über mir befindlichen Bettes stoße und mich darin nur umständlich bewegen kann, bedeuten für ihn keinerlei Arbeit. Wie eine Fahne wirbelt er das massive Metallgestell durch den Raum und stellt es irgendwo in die Ecke. »De nada«, gern geschehen, ist alles, was er auf meinen Dank erwidert. Viel zu sagen haben wir uns leider nicht, schade. Nicht dass ich die Pilgerkarawanen von 50 oder mehr Menschen auf dem Camino Francés herbeisehne, aber tagelang die gleichen Sprüche stellen nicht den Tiefgang des gegenseitigen Austausches dar, den ich mir gewünscht hatte.
     
    Wir sind die einzigen Gäste in dieser Herberge, die erst vor zwei Jahren aus einer ehemaligen Ölmühle entstanden ist. Im Erdgeschoss beziehe ich mein eigenes Zimmer, sogar frische Handtücher liegen bereit. Wenn mehr los wäre, müsste ich das Zimmer mit noch fünf weiteren Personen teilen. Der viele Platz ist ein wahrer Luxus, endlich einmal muss ich die mir verhassten leichten Funktionshandtücher aus Polyester nicht aus den Tiefen des Rucksacks kramen. Die Handtücher sind zwar leicht, saugfähig und trocknen schnell, aber das Gefühl auf der Haut ist gerade so, als ob man sich mit einer Bananenschale abreiben würde.
    Der fünfjährige Sohn der Herbergseltern fährt mit einer spanischen Version eines Puky-Kinderfahrrads durch den Speisesaal, während Ludek und ich schweigend essen. Auf dem Fernseher zeigt die Wetterkarte Sonne für ganz Spanien. »Todo el sol«, bemerkt Ludek knapp. Ich ärgere mich über ihn, da sein Schnitzel mindestens doppelt so groß ist wie meins, und ich den ganzen Tag schon einen wahren Hungerast, wie es mein Triathlonkollege einmal genannt hat, habe. Auf nichts freut sich der Pilger mehr als auf das Essen, das nie besser schmeckt als nach einem körperlich anstrengenden Tag.
    Der geile Großvater des Kleinen, ein vom Arbeiten auf dem Feld gezeichneter Mann um die sechzig, erzählt uns nach dem zweiten selbst gebrannten Schnaps von den jungen Mädchen in Zafra, die für dreißig Euro alles machten. Er würde da jetzt hinfahren und er drängt uns, mitzukommen. Nach einer Weile können wir ihn überzeugen, dass wir nach zwölf Stunden an der frischen Luft wirklich andere Bedürfnisse haben.
     
     

Ballast abwerfen
     
    Inzwischen bin ich mir sicher: Die Armeehandschuhe sind ganz bestimmt nur für Gärtner konzipiert. Schon nach diesen wenigen Tagen sind sie so zerfetzt, dass sie dringend einer Reparatur bedürfen oder in zwei Tagen weggeschmissen werden müssen.
    In den Tiefen meines Rucksacks befinden sich noch leichte Fahrradhandschuhe aus Leder, aber die Blasen verheilen gut in den uringetränkten Dingern, daher kommt Wechseln nicht in Betracht. Nur in geschlossene Räume darf ich sie aus nahe liegenden Gründen nicht mitnehmen.
    Im nächsten Dorf komme ich an einem Schuster vorbei, der dicke Lederflicken aufnäht und mir das Gefühl gibt, handschuhtechnisch wieder absolut fit zu sein. Die Spontanreparatur kostet ganze drei Euro, ich gebe ihm ein großzügiges Trinkgeld — auch als Entschädigung für die Geruchsbelästigung. Großes Kompliment, er hat sich nichts anmerken lassen...
    Ich tanke Wasser, der Wanderführer warnt eindringlich, man solle genügend Wasser mitnehmen. Auf dem dreißig Kilometer langen Weg nach Torremegia gibt es keine Wasserstelle mehr, »es sei denn, Sie biegen nach halbem Weg ab«. Habe ich nicht vor, keine Umwege, bitte!
    Ich befinde mich im Terra de Barros, was so viel wie Lehmland bedeutet. Ich bin dankbar für die Trockenheit. Bei Regen hätte der Lehm meine schlanken Mountainbikeräder sofort in rotbraune Ballonreifen verwandelt. Damit wäre ich unmöglich weitergekommen, zwischen Reifen und Seitenteil ist nur eine Handbreit Platz. Um auf engstem Raum zurechtzukommen, ist der Stuhl keinen Zentimeter breiter und länger als notwendig.
    So weit das Auge reicht erstrecken sich Weinfelder, und gelegentlich sehe ich in großer Entfernung Arbeiter bei der Weinlese. Auf den breiteren Wegen begegnen mir Traktoren, die mit Reben beladene Hänger ziehen. Die Trauben schmecken saftig süß, zudem erleichtern die klebrigen Finger das Vorankommen. Im Fachjargon wird das »mehr grip« genannt, wenn die Hände am blanken Stahl der Greifreifen nicht abrutschen. Hunger und Durst sättige ich hier einfach am Wegesrand, um den Wasservorrat hätte ich

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