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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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verliert als einen Spruch verschenkt, und sie mir zu sehr das Mauerblümchen, das zwar schön, aber doch ziemlich still vor sich hinblüht.
    Das letzte Mal sahen wir uns vor meinem Unfall an der Essener U-Bahn-Haltestelle Rüttenscheider Stern. Sie war mit ihrer Freundin auf dem Weg in die eine Richtung und ich mit Frank in die andere. Wahrscheinlich wollte ich ihm beweisen, was für ein flotter Kerl ich war, und gab nur einen Spruch nach dem anderen von mir. Wie ich erst viel später erfuhr, hatte sie sich vorgenommen gehabt, mir bei der Abiturfeier etwas zu sagen, das sie mir schon länger sagen wollte. Den Abend der Feier verbrachte ich dann allerdings auf der Intensivstation des Krankenhauses Berlin-Steglitz, und sie aus Kummer deswegen zu Hause.
    Bei einem überraschenden Besuch in Bad Wildungen sagte sie etwas sehr Schönes. »Mit dir verbindet mich etwas, das ich ein Leben lang behalten möchte.« Das wollte ich auch.
    Noch einmal dreizehn Jahre später offenbarte sie mir, dass sie mir damals eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. The road not taken.
     
    Einige Monate nach meinem Motorradunfall wurde bei meinem Vater ein malignes Melanom diagnostiziert. Später erfuhr ich, dass die Ärzte einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Schock über meinen Unfall und dem plötzlichen Hervorbrechen des Krebses sahen.
    Er selbst verschwieg mir jedoch alles, um meine Rehabilitation nicht zu gefährden, und unterzog sich einer aufwändigen Operation. Sie war erfolgreich.
    Er verfolgte meine Fortschritte und anschließend mein Studium aus der Ferne, ohne allzu viel zu fragen. Sicher hatte er Angst, von mir eine patzige Antwort zu bekommen. Und ich war so mit mir und meinen Schmerzen beschäftigt, dass ich seine Not gar nicht wahrnahm.
    Zehn Jahre später wurde bei ihm erneut Krebs diagnostiziert. Kurz bevor ich mich das zweite Mal auf den Jakobsweg machte, diesmal auf die Grand Route 65 durch Frankreich, erzählte er mir fassungslos, dass er sich erneut einer Operation unterziehen musste. Das war im Mai 2004.
    Es ist einmal gut gegangen, dann wird es auch ein zweites Mal gut gehen, dachte ich und fuhr nach Le Puy en Velay, an den Ausgangspunkt meiner über 500 Kilometer langen Tour quer durch Frankreich.
    Es ging kein zweites Mal gut. Die Heilungschancen lagen diesmal nur bei etwa fünf Prozent. Keiner von uns wollte das wirklich wahrhaben.
    Von Moissac aus rief ich ihn an, um ihm freudig zu erzählen, dass ich mein Ziel früher als geplant erreicht hätte. Während des Gesprächs war er ganz bei mir, er zeigte sich interessiert und fragte nach. Für ihn wäre Wandern oder gar Pilgern freilich nie in Frage gekommen, er litt still für sich, zu Hause, nicht in der Natur.
    Nach meiner Rückkehr sahen wir uns mindestens einmal die Woche und ich hoffte inständig, dass er die Krankheit auch als Öffnung, vielleicht sogar als Öffnung für Gott, verstehen würde. Aber er wehrte sich weiterhin, die Dinge zu hinterfragen. In den folgenden Wochen konnte ich von meinem Vater Abschied nehmen, mit ihm vollständigen Frieden schließen und ihm von Herzen danken.
    Einmal konnte er sogar noch gemeinsam mit Jutta und mir auswärts Mittag essen gehen. Obwohl er sehr mit Übelkeit zu kämpfen hatte, schien er das Ganze doch auch zu genießen. Auf der Rückfahrt lächelte er etwas müde, und erst in der Ruhe meiner Wanderung konnte ich diesen gütigen Gesichtausdruck dechiffrieren, als ob er sagen wollte: »Ein Leben lang hast du dich als Jüngster an mir gerieben und endlich erkannt, dass ich dir auf die Art, wie ich es konnte, alles gegeben habe.«
     
    Eines Tages übernachtete ich bei Jutta in ihrer gemeinsamen Wohnung. Auch sie hatte die Ungleichbehandlung seiner drei Söhne nie verstehen können. Einmal konfrontierte sie meinen Vater erneut mit dieser Frage, woraufhin er ihr — ein einziges Mal — erschöpft zur Antwort gab: »Es sind nicht alles meine Kinder.«
    Mehr sagte er dazu nie. Ich bekam eine Gänsehaut, als Jutta mir das erzählte, ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich erinnerte mich an die Worte der Schwester meiner Mutter, die mir mehrmals gesagt hatte, ich solle endlich ein klärendes Gespräch mit meinem Vater führen. Doch immer, wenn ich es versucht hatte, hatte er den Unwissenden gespielt. Es gäbe nichts zu sagen, Affären habe es keine gegeben, weder von ihm noch von meiner Mutter.
    Als ich die Tante jetzt mit der Andeutung meiner Stiefmutter konfrontierte, begann sie endlich zu

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