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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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Vaters, den doppelten Verlust, zu bewältigen.
     
     

Felix, der Glückliche?
     
    Mein Vater bemühte sich, nach dem Tod meiner Mutter ein halbwegs intaktes Familienleben aufrechtzuerhalten. Mittags hetzte er aus seinem Büro nach Hause, wärmte etwas auf, das unsere Haushälterin oder seine Freundin vorgekocht hatte. Ich nörgelte so gut wie immer herum und meckerte über das Essen. Mitten in der Pubertät steckend fand ich alles blöd und beschloss, zu Hause gar nichts mehr zu erzählen von den Dingen, die mich bewegten. Mit meinen Brüdern überwarf ich mich vollkommen, sie wurden für mich zu regelrechten Feindbildern.
    Ein Jahr später stellte uns mein Vater offiziell seine Freundin vor, Jutta. Sie war in seinem Alter, hatte selbst drei Kinder und es war offenkundig: Beide empfanden ihr gemeinsames Glück größer als sechs Richtige im Lotto. Mein Vater erklärte uns frei heraus, dass es ihm gleichgültig sei, ob wir seine Freundin sympathisch finden oder nicht. »Endlich lebe ich mein Leben. Ich liebe diese Frau von ganzem Herzen. Das sind jetzt meine goldenen Jahre.«
    Leicht widerstrebend musste ich ihm recht geben: Er sah so gut aus wie selten zuvor. Plötzlich trug er modische Kleidung, ging permanent ins Theater, in ein Restaurant oder sie waren zusammen auf Reisen. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, warum wir beide bald übereinkamen, dass ich als Austauschschüler ein Jahr in die USA gehen sollte.
     
    Leider geriet ich dabei vom Regen in die Traufe. Ich landete bei einem fundamentalistischen Pfarrer in einem 1320 Einwohner zählenden Dorf in Nebraska, eine Autostunde von der nächst größeren Stadt entfernt. Der reinste Horror. Die ersten drei Monate hatte ich einen Aktionsradius von einem Kilometer. Die Highschool befand sich direkt gegenüber der Kirche, wir wohnten in dem Pfarrhaus gleich nebenan.
    Mit dem Mut der Verzweiflung beschloss ich, durchzuhalten und das Beste daraus zu machen. Neben dem Highschool-Abschluss würde ich hier sogar noch einen amerikanischen Führerschein machen können, mit dem ich in Deutschland auch schon als 17-Jähriger Auto fahren durfte.
    Ein Versuch, die Gastfamilie zu wechseln, scheiterte, und so stürzte ich mich in sämtliche Aktivitäten, die die Highschool zu bieten hatte: Chor, Football, Track & Field, Wrestling usw., und natürlich alle Arten von Kirchenveranstaltungen, die der Pfarrer organisierte. Dazu gehörten glücklicherweise auch Wochenendreisen, sodass ich das Land und seine Menschen wenigstens ein bisschen kennenlernen konnte.
    Über Weihnachten fuhr ich mit dem Greyhoundbus für ein paar Tage nach Florida, um einfach in der Sonne zu liegen und mir vielleicht mal etwas anderes zu essen zu kaufen als Toastbrot und Scheiblettenkäse mit einer Coke.
    Ich war mir nicht sicher, auf welcher Seite des großen Teiches es besser war. Between a rock and a hard place.
    Ich war noch keine vierundzwanzig Stunden wieder in Deutschland zurück, da hielt ich den ersten Joint meines Lebens in der Hand. In meinem abgelegenen Bauernstaat hatte ich die Entwicklung meiner Kumpels gar nicht mitbekommen und hielt die Tüte für eine selbst gedrehte Zigarette. Auch die Haarlänge der anderen übertraf meine um geschätzte zwölf Monate Nichtschneiden. In Nebraska wäre ein solcher Hippieauftritt gar nicht gut angekommen. Mein Freund Frank war nun nicht mehr John Rambo, sondern Slash, der Gitarrist von Guns ’n Roses. Stilecht rannte er mit gefärbten schwarzen Haaren und Zylinder herum. Ich führte mich als Rocker auf, war aber vor allem auf der Suche nach Halt. Die gab mir die Rockmusik, inklusive cooles Gehabe, abgefahrene Klamotten und viel Alkohol.
    Wibke kam das erste Mal nach einer Party bei einem Klassenkameraden mit zu mir. Ich hatte zwei Zimmer für mich in unserem Haus, ein helles unterm Dach, das so genannte Turmzimmer, und eins im Keller. Zusammen hörten wir John Lennon und tanzten eng umschlungen bei Kerzenlicht im Kellerraum. Dazu tranken wir Wein, den ich im Anschluss an eine Wanderung durch die Pyrenäen in Spanien gekauft hatte. Er schmeckte sehr gut, unser erster Kuss war aber unvergleichlich besser. Erst früh morgens ging Wibke nach Hause.
    Wir verbrachten die nächsten Wochen mehr oder weniger pausenlos miteinander. Wir hörten Musik, gingen viel spazieren, küssten uns, aber niemals mehr. Dass wir vielleicht noch mehr voneinander wollten, trauten wir uns nicht einzugestehen. Ich war wahrscheinlich zu sehr Raufbold, der lieber einen Freund

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