Dem Himmel entgegen
beiden zusammen beim Tor gesessen und gemeinsam ihr Essen verspeist. Keiner von beiden hatte etwas gesagt, und das gefiel Brady besonders. Die Arbeit mit den Vögeln war anstrengend, obwohl Brady sich nicht genau erklären konnte, warum das so war. Mehr als die körperliche Belastung machte ihm die psychische zu schaffen – wenn er zusammen mit den Raubvögeln in der Voliere stand und ihnen Futter brachte oder die Reste zusammensuchte, war die Anspannung groß. Alle seine Sinne waren dann in Alarmbereitschaft. Er versuchte so gut wie möglich, seine Stimme zu senken und sich langsam und vorsichtig zu bewegen. Die ganze Zeit über wusste er genau, wo die Tiere waren, und er vermied es, die Vögel direkt anzusehen. All das hatte er von Lijah gelernt und machte es, um die Tiere möglichst wenig aufzuschrecken.
Und natürlich wollte er auch Clarice beeindrucken. Er konnte sein Glück kaum fassen, als Ella ihn fragte, ob er zusammen mit Clarice die Fütterung übernehmen wolle. Ohne zu zögern, hatte er sofort zugestimmt. Vermutlich hatten Lijah oder Clarice ein gutes Wort für ihn eingelegt, sonst hätte Harris, der Geizhals, niemals zugestimmt, dass Brady in die Nähe der Tiere durfte. Doch seitdem Ella auch in der Klinik arbeitete, hatten sich die Dinge von Grund auf verändert. Der gesamte Arbeitsplatz war viel sauberer und organisierter – sogar ein Anfänger wie er konnte das sehen. Ihre bloße Anwesenheit sorgte scheinbar dafür, dass die Mitarbeiter viel heiterer waren, so als wüssten oder spürten sie, dass es nun aufwärts gehen würde. Und sie waren auch freundlicher zu ihm. Sogar Harris. Im Grunde war es egal, wer den Stein ins Rollen gebracht hatte. Die Hauptsache war, dass er und Clarice ein Team bildeten. Brady grinste, als er in sein Schinkenbrot biss. Manchmal konnte das Schicksal doch ein Freund sein.
Er wusste noch immer nicht, was er von Clarice Gaillard halten sollte. Sie war nicht nur hübsch. Sie war auch klug. Anders als andere, die ihre Klugheit unter Beweis stellen wollten, behandelte sie ihn nicht von oben herab oder kommandierte ihn herum. Jeder konnte sehen, dass sie gerne mit den Greifvögeln arbeitete, besonders mit den kleinen Kreischeulen, und diese Begeisterung übertrug sie auf ihn. Das mochte er an ihr. Sie ließ ihn Neues tun und Neues lernen, zog sich zurück und ließ ihm den Vortritt, statt die Tiere für sich zu beanspruchen.
Sie hatte ihm zum Beispiel beigebracht, die Vögel in ihren Käfigen einzufangen. Zuerst hatte er Angst gehabt, große Angst sogar. Die kleinen, wie zum Beispiel die Kreischeulen, waren so verflixt schnell, und es bestand immer die Gefahr, dass sie einem entwischen. Und die großen Tiere erst. Diese mächtigen, kraftvollen Krallen konnten ihm leicht das Gesicht zerfetzen, wenn er sich dumm anstellte und es vermasselte. Als er der zierlichen Clarice dabei zugesehen hatte, wie sie in die Voliere trat und flink und sicher nach diesen riesigen Krallen griff, war das für ihn – und für seine Männlichkeit – eine Herausforderung gewesen. Er hatte nicht kneifen dürfen, wenn sogar ein Mädchen es geschafft hatte. Zu seiner Erleichterung hatte es auch auf Anhieb geklappt. Er liebte die Art, wie sie ihn in solchen Momenten anlächelte, so freundlich und mit vor Anerkennung sprühenden Augen. So einen Blick und so ein Lächeln hatte er in seinem Leben nicht oft gesehen, und es war ein Ansporn für ihn, es beim nächsten Mal noch besser zu machen.
Nach einer Weile hatte er die Greifvögel genauso gut und sicher einfangen können wie sie. Das Geheimnis war, die Vögel zu betrachten, sich in sie hineinzufühlen und daran zu denken, wie ängstlich
sie
im Vergleich zu ihm sein mussten.
Das Geräusch von Autoreifen auf dem Kiesweg riss ihn aus seinen Gedanken. Er stand auf und stellte sich ans Tor. Der Hahn flatterte zurück in den Schutz der Bäume. Brady sah einen weißen Ford um die Kurve biegen. Langsam rollte der Wagen bis zum Gitter und hielt davor. Das Fenster war heruntergelassen, und Clarice steckte ihren Kopf heraus.
“Hey, Brady. Was machst du denn noch hier?”
“Ich warte, dass mich jemand abholt”, murmelte er und wollte vor Scham sterben. Verdammt, dachte er. Warum konnte seine Mutter nicht einmal pünktlich sein?
“Immer noch? Bist du sicher, dass sie noch kommt?”
Er sah die Straße hinunter, als wolle er sich davon überzeugen, dass sie nicht gerade in dieser Sekunde um die Ecke bog. “Ja, sie kommt schon noch.” Er schaute Clarice
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