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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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an, zuckte die Schultern und senkte dann seinen Blick. “Es macht mir nichts aus zu warten, solange es nicht wieder anfängt zu regnen.” Skeptisch betrachtete er die dicken grauen Wolken am Himmel. “Egal, ich sitze hier und mache Mittag.”
    “Oh, ja? Ich habe auch noch nichts gegessen. Möchtest du, dass ich dir Gesellschaft leiste?”
    Die Frage verunsicherte und überraschte ihn. Er war aufgeregt. “Ich habe schon Gesellschaft”, grinste er, trat zurück und zeigte auf den weißen Hahn. “Aber du bist herzlich willkommen, dich zu uns zu setzen.”
    Die tief stehende Sonne schien ihr direkt in die Augen. Sie blinzelte und legte die Hand zum Schutz über ihre Augen, doch er war sich sicher, dass sie lächelte. “Wenn du dir ganz sicher bist, dass ich euer Gespräch nicht unterbreche …”
    “Nein”, sagte er und lachte auf. “Wir haben die Probleme der Welt heute schon gelöst.”
    Sie lachte, und er dachte, dass ihr Lachen sich anhörte, als würden Glocken klingen.
    “In dem Fall werde ich mal eben das Auto abstellen … Wenn du so freundlich wärest, mir das Tor zu öffnen.”
    Unglaublich, wie stark sein Herz pochte, als er ihr das Tor öffnete und es hinter ihr wieder schloss, während sie den Wagen neben dem Kiesweg parkte. Wo würden sie sich hinsetzen, dachte er. Hatte er etwas, das er ihr anbieten konnte? Er blickte in seine braune Papiertüte. Alles, was noch in der Tüte lag, war ein angebissenes Schinkenbrot, eine leere Tüte Chips und zwei zerbrochene Kekse mit Cremefüllung.
    Er sah auf. Da stand sie, neben ihm, lächelnd. Sie sah sich um, betrachtete alles, außer ihm. Brady überlegte, ob sie vielleicht auch ein bisschen nervös war.
    “Wo sitzt du?” fragte sie.
    “Da drüben. Unter dem Baum liegt ein großer Stein. Du kannst dich gerne draufsetzen”, bot er ihr unbeholfen in ritterlicher Manier an. “Ich setze mich auf den Boden.”
    “Danke.”
    Er setzte sich hin und bedauerte ein wenig, dass es in den letzten Tagen so viel geregnet hatte. Während er in seiner braunen Tüte nach den Überresten seines Weißbrotes kramte, zog Clarice Trauben aus ihrem Rucksack und begann, sie zu essen. Jede Frucht verschwand einzeln zwischen ihren vollen Lippen.
    “Du freundest dich langsam richtig mit dem Hahn an, was?” fragte sie.
    “Ja, irgendwie mag ich seine Gesellschaft. Lijah nennt ihn den
Alten Gockel
. Manchmal ruft er ihn auch
Chanticleer
, nach einem Hahn in einer Geschichte. Lijah erzählt mir immer Geschichten, wenn wir gemeinsam arbeiten. Sein Vorrat daran scheint unerschöpflich.”
    “Das ist sicher so”, sagte sie überzeugt. “Er ist schließlich ein
griot.”
    “Ein was?”
    “In Afrika nennt unser Volk die Erzähler
griots
. Die Gullahs haben das fortgeführt. Ihr nennt das sicher einen Geschichtenerzähler. Doch was er weiß und erzählt, steht in keinem Buch niedergeschrieben. Unsere Geschichte und Kultur wird von Mund zu Mund weitergegeben. Er kennt Ereignisse, die unserem Volk widerfahren sind, seit der Zeit der Sklaverei. Das ist ein Teil der mündlichen Überlieferung unserer Kultur.”
    “Du bist Gullah, aber du sprichst nicht wie Lijah.”
    “Ich bin von denselben Lehrern erzogen worden wie du. Man hat mir beigebracht, dass die Gullah-Sprache keine Bedeutung hat. Das ist traurig. Die Sprache wird heutzutage kaum noch gesprochen, nur noch von den Älteren. Wenn die alten Menschen sterben, stirbt auch die Sprache langsam aus.” Sie zog betrübt die Augenbrauen zusammen und legte die Hände in den Schoß.
    “Manchmal habe ich Angst, dass alles Stück für Stück ausstirbt. Die Kochkunst der Gullah, ihr Handwerk und ihre Kunst, ihre Medizin – sogar die Geschichten – verschwinden langsam, so wie die Farmen und Fischgründe auf den Sea Islands. Sie weichen den Bulldozern, die alles zerstören, damit Platz da ist für neue, schöne Häuser, Schutzgebiete und Straßen, die das Gesicht der Sea Islands verändern. Aber wir werden kämpfen, um die Kultur lebendig zu halten. Wir haben eine Gullah/Geechee-Nation ins Leben gerufen. Wir haben eine Königin und einen Ältestenrat, der die Sprache und die Tradition unseres Volkes pflegt. Darum werden griots wie Lijah von den Gullah/Geechees so verehrt. Verstehst du? Es gibt noch viel, was man über unser Volk lernen kann, so wie es noch viel gibt, was man über Lijah lernen kann.”
    “Aber warum schläft er in dieser Holzhütte, als hätte er keinen Platz, wo er sonst bleiben könnte?”
    Sie schürzte die Lippen

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