Dem Himmel entgegen
will.”
“Bescheidenheit?” fragte Brady verwirrt.
“Genau die”, sagte Lijah und nickte feierlich. “Und das ist für einen Mann wirklich sehr, sehr hart zu lernen. Wenn man mit einem Raubvogel arbeitet, ist man selbst nie der Meister. Man ist der Schüler. Man muss sich darauf einlassen, von dem Tier zu lernen. Den Geist des Vogels zu verstehen.” Er hob die Hand und wies auf Harris und den Falken, die auf der Wiese standen. “Dieses Mal, mein Sohn, öffne die Augen, und sieh, was wirklich da draußen geschieht! Harris trainiert das Falkenweibchen nicht nur. Er arbeitet mit ihr. Beobachtet sie, damit sie sich nicht zu sehr verausgabt. Betrachtet den Himmel, um sie keinen Gefahren auszusetzen. Immerzu beobachtet er, denn er sorgt sich um sie. Jetzt schau zu. Sie lernen,
Partner
zu sein.”
Lijah sah Brady lange an, als ob er sicherstellen wollte, dass der Junge seine Botschaft auch wirklich verstanden hat.
“Ja, okay. Ich hab’s verstanden”, sagte Brady und meinte es auch so.
Lijah Augen funkelten zufrieden. Er wandte seinen schlohweißen Kopf wieder Harris und dem Falken zu. Brady brannten unzählige Fragen auf den Nägeln, doch er kannte Lijah inzwischen gut genug, um zu wissen, wann er ruhig sein musste. Also wartete er den richtigen Augenblick ab und beobachtete währenddessen mit dem alten Mann die nächste Übung, um besser zu verstehen, was ihn so faszinierte.
Auf dem Feld war Harris gerade dabei, den wunderschönen, schlanken Falken auf die Sitzstange zu lassen. Risk schüttelte das Gefieder, das Glöckchen, das an ihrem Körper befestigt war, klingelte hell, und das Tier brachte sich in Position. Maggie stand dicht neben Risk.
Harris lief zur Segeltuchtasche und nahm seinen Platz einige Meter von der Sitzstange entfernt ein. Dieses Mal begann er das Ritual nicht damit, das Lockmittel über seinem Kopf kreisen zu lassen. Stattdessen pfiff er, hoch und klar. Der Falke breitete die Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte.
Brady blickte in den Himmel und betrachtete voller Bewunderung, wie der Vogel zweimal über ihren Köpfen kreiste. Die dunkle Silhouette des Tieres hob sich vom zarten Blau des Himmels ab. Und wieder spürte Brady, wie sein Blut in Wallung geriet und sein Herz aufgeregt pochte. Es schien, als wartete der Falke auf ein bestimmtes Stichwort – und es fiel.
“Ho!” rief Harris und ließ gleichzeitig den Dummy über sich kreisen.
Der Falke kam zurück und stieß mit tödlicher Präzision auf den Köder hinab. Er streckte die Krallen aus, um die Beute zu fangen.
Doch im letzten Moment zog Harris den Köder zurück, bevor der Falke danach greifen konnte. Er ließ den Dummy knapp über dem Boden kreisen. Risk flog vorbei und stieg wieder in den Himmel hinauf. Harris wandte sich um, ließ den Blick nicht von dem Falken und gab dem Köder mehr Schnur. In einer einzigen fließenden Bewegung bekam der Dummy mehr und mehr Leine und kreiste immer höher über Harris’ Kopf. Wieder und wieder gab er Risk die Möglichkeit, Beute zu machen, und zog, kurz bevor der Falke zuschlug, den Köder weg. Der Vogel kreiste über dem Feld und stürzte sich hinab, um sich dann wieder in die Lüfte zu erheben. Die beiden vollzogen einen Tanz von unglaublicher Anmut, Kühnheit und Schnelligkeit.
Brady sah wie gebannt zu.
Nach ein paar dieser Manöver bremste Harris den Dummy ab, und Risk schlug seine Krallen in das Fleisch des Köders.
“Gutes Mädchen”, murmelte Harris zufrieden, während der Falke auf seine Faust kletterte. Das Hochgefühl war deutlich in Harris’ Gesicht abzulesen.
Das Training war beendet, und Lijah ging direkt zu den beiden hinüber. Brady blieb zurück und beobachtete, wie sich die beiden Männer eine Weile miteinander unterhielten. Lijah musste etwas über ihn gesagt haben, denn Harris wandte ihm den Kopf zu, blickte ihn kurz an, drehte dann den Kopf wieder dem alten Mann zu und nickte zustimmend.
Brady schlenderte gemächlich zu den Männern hinüber – das Herz schlug ihm bis zum Hals. Harris machte ihn immer nervös. Vielleicht, weil er der Chef des Centers war. Aber tief in seinem Innersten wusste er, dass es mehr als nur das war. Etwas Unausgesprochenes stand zwischen ihnen, eine Herausforderung, eine Art Wettstreit, und beide fühlten es. Brady wusste nicht, warum er so empfand, aber es war so, und beide Männer versuchten, damit umzugehen.
Harris blickte auf, als er sich näherte, und Brady bemerkte plötzlich etwas Neues, etwas Anderes in der Art,
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