Dem Himmel entgegen
erklärte sie mit heiserer Stimme. “Du musst keine Angst mehr haben.”
“Verlasst mich ja nie wieder”, schalt Marion. “Bleibt bei mir. Für immer.”
Ella küsste ihre Stirn, drückte sie an sich und wiegte sie sanft in ihren Armen. Sie blickte auf und sah Harris, der seine Arme verschränkt hatte und die beiden betrachtete. Sie konnte in seinem Gesicht nicht lesen, was er gerade dachte oder fühlte.
“Guck mal, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht!” sagte sie zu Marion. Sie zog die Nase hoch, wischte sich die Tränen aus den Augen und griff nach ihrer Tasche, um ein Buch herauszuangeln, das sie in einem kleinen Laden bei einer Tankstelle auf dem Weg erstanden hatte. Als sie es entdeckt hatte, wusste sie, dass Marion es haben musste.
“Es ist voll mit Gullah-Geschichten”, erklärte sie und legte es in die Kinderhände, die sich ihr begierig entgegenstreckten. “Die Krähe, das Kaninchen, die ganze Rasselbande ist vertreten. Ich dachte, es würde dir Freude bereiten. Wer weiß? Vielleicht können wir sogar Lijah mal eine Geschichte daraus vorlesen.”
Sie sah zu dem alten Mann, der von seiner Hütte zu ihnen gelaufen war, um sie zu begrüßen. Er stand neben Maggie und ihren beiden Kindern.
“Ich glaube nicht, dass in dem Buch auch nur eine Geschichte steht, die ich noch nicht kenne”, sagte er vergnügt und blinzelte Ella zu.
“Können wir vielleicht heute Abend schon eine lesen?” wollte Marion wissen.
Ella nickte, obwohl sie erschöpft war und sich nichts sehnlicher wünschte, als in ihr Bett zu fallen. “Sicher. Ich habe mich schon die ganze Zeit darauf gefreut.”
“Und was ist mit mir? Rieche ich streng?” fragte Harris gespielt vorwurfsvoll und breitete die Arme aus.
Marion fiel ihm in die Arme, und er schleuderte sie wild herum. Sie kreischte vor Vergnügen. Ella stand auf, nahm ihre Taschen und ging in das hell erleuchtete Haus. Maggie rannte ihr hinterher.
“Ich habe mir auch Sorgen gemacht”, sagte Maggie und hakte sich unter.
“Es tut mir Leid. Wir Idioten haben das Handy im Auto liegen gelassen.”
“Marion wusste ja nicht, wie spät es war, bis die Sonne unterging. Erst da hat sie angefangen, sich Gedanken zu machen. Also war es nicht so schlimm. Sie hat die Zeit, in der ihr nicht da wart, übrigens sehr genossen. Sie und meine Annie sind richtig dicke Freundinnen geworden. Ich bin total überrascht! Früher wollte Marion nie mit Annie spielen, wenn ich sie fragte. Sie wollte immer nur allein gelassen werden. Jetzt will sie die ganze Zeit spielen und plappert ohne Punkt und Komma.”
Ella lächelte schwach. Sogar diese gute Nachricht schaffte es nicht, die Traurigkeit, die sie gefangen hielt, zu vertreiben. “Endlich lernt sie zu spielen.”
“Sie machen Ihre Arbeit mit der Kleinen wirklich großartig.”
Ellas Lächeln erstarb, und sie wandte das Gesicht ab.
“Was ist los?” fragte Maggie, die sofort spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.
“Nichts.”
Ihre Blicke trafen sich, und beide wussten, dass Ellas Antwort eine Lüge war.
In diesem Moment folgten Harris und Marion den Frauen zum Haus und unterbrachen damit etwas, was sich zu einem vertrauensvollen Gespräch hätte entwickeln können. Vater und Tochter unterhielten sich gerade über den Kanuausflug am Fluss. Ella presste die Tasche gegen ihren Körper.
Maggies Blick wanderte von ihr zu Harris, und sie ahnte, dass etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein musste. Sie hielt sich jedoch zurück und ließ das Thema fallen, da sie spürte, dass der Zeitpunkt falsch war, um danach zu fragen. Stattdessen sah sie über ihre Schulter und sagte etwas zu Harris, das ihn in Lachen ausbrechen ließ. Marion war aufgeregt, ihre Wangen gerötet, und sie hüpfte fröhlich von einem zum anderen. Sie plapperte Unsinn und benahm sich wie der Hahn im Korb. Bald fiel auch ihre neue Freundin Anne ein.
Ausgelassenes Geschnatter und helles Lachen erfüllten das Haus. Ella spürte, wie sie abschweifte. Die Stimmen klangen gedämpft, wie weißes Rauschen. Lijah stand schweigend ein wenig abseits, seine Schultern waren gebeugt, und ein Lächeln umspielte seinen Mund. Er wandte sich Ella zu, und ihre Blicke trafen sich für einen Moment.
“Ich bin so müde, mir tut alles weh, und ich rieche fürchterlich”, sagte sie und strebte der Flurtür entgegen. “Verzeiht mir, aber ich muss mich frisch machen.”
Es war spät. Ella lag ausgestreckt auf ihrer Matratze, die Arme auf dem Brustkorb verschränkt wie eine Statue. Das
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