Dem Himmel entgegen
Lächeln erschien auf Roys Gesicht. “Ich werde dir auf dem Rückweg von ihm erzählen. Du erinnerst mich an ihn. Er war auch so stur.” Er wandte sich zum Eimer um und überprüfte den Fang, bevor er den Deckel schloss. Seine Bewegungen wirkten steif, nicht so fließend und agil, wie Brady sie in Erinnerung hatte. “Tja, wir haben nicht viel, aber wir haben etwas zum Abendessen. Bereit, nach Hause zu gehen, mein Sohn?”
Ihre Blicke trafen sich, und Brady nickte. Dann drehte er sich um und hob den Anker aus dem schlammigen Untergrund.
Es war noch sehr früh, als Ella zum letzten Mal den Flur zu Harris Zimmer hinunterging. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und der Flur war stockdunkel. Am Tag zuvor hatte es heftig geregnet, und die drückende feuchte Hitze war gewichen. Die Nachtluft war erfrischend kühl. Sie hatten die Fenster offen stehen lassen, um das Haus abzukühlen. Ella konnte die hölzernen Jalousien hören, die im Wind leicht gegen die Hauswand schlugen.
Sie klopfte nicht an seine Tür, weil sie Angst hatte, Fannie und Marion zu wecken, die oben schliefen. Also drückte sie die Tür sanft auf und verzog erschreckt das Gesicht, als die Angeln quietschten.
Der Mondschein, der durch die offenen Fenster fiel, erfüllte den Raum mit zartem Dämmerlicht. Das Zimmer glich einem Schlachtfeld – überall Berge von Wäsche und Bücher- und Papier-Stapel, die sich gefährlich neigten. Ella konnte im schummrigen Licht nur die Umrisse der Haufen auf dem Schreibtisch und auf dem Fußboden ausmachen, und schlich auf Zehenspitzen um sie herum, bis sie an Harris’ Doppelbett stand.
Der Anblick von Harris, der auf dem Bauch lag, fest schlief und leicht schnarchte, schnürte ihr die Kehle zu. Sie wollte ihn nicht aufwecken, wusste nicht, ob sie die Kraft hätte, ihm Lebewohl zu sagen. In den letzten Stunden vor Sonnenaufgang hatte sie Dutzende von Briefen angefangen und sie doch alle zerrissen. Sie konnte ihm keine Nachricht auf dem Küchentisch hinterlassen.
Sie streckte ihre Hand aus, um seine nackte Schulter zu berühren. Harris zuckte unter der Berührung zurück. Es kostete sie all ihren Mut, ihn zu schütteln – zuerst ganz sacht, beim zweiten Mal schon etwas bestimmter.
Er wachte auf, überrascht, und hob abrupt seinen Kopf vom Kissen. Besorgt wich sie zurück. Schlaftrunken blinzelte er und sah sie dann mit müden fragenden Augen an.
“Harris, ich bin es”, wisperte sie. “Ella.”
Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, wurde langsam wach und blickte sie wieder an. Seine blauen Augen funkelten in der Dämmerung. Zuerst schien er überrascht, sie zu sehen, doch dann freute er sich. Sein Gesicht entspannte sich, und er begann zu lächeln.
“Ella …” Er rückte zur Seite und lupfte die dünne Decke, um Ella ins Bett zu lassen. Unvermittelt hielt er inne, als er bemerkte, dass sie komplett angezogen war. Sie trug eine khakifarbene Hose, ein T-Shirt, und ihr Haar war hochgesteckt.
“Wie spät ist es?” fragte er, und seine Stimme klang plötzlich besorgt.
“Fünf Uhr.”
Er setzte sich auf und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. “Wohin willst du?”
“Ich weiß es nicht.”
Abrupt streckte er den Arm aus, um sie festzuhalten. “Tu das nicht, Ella.”
Verzweifelt versuchte sie, sich von ihm zu lösen, aber er ließ sie nicht gehen. “Ich muss das tun, Harris.”
“Nein”, sagte er bestimmt und zog sie an sich heran.
“Bitte, lass mich gehen”, beharrte Ella, aber er war stärker als sie. Er zog sie an sich, hinunter in das warme, weiche Bett, hinunter in seine Arme. Sanft wiegte er sie, umarmte sie, drückte sie an sich, und sie konnte die Wärme seiner Haut und die Stärke seines Körpers spüren.
“Du kannst nicht gehen”, sagte er, den Mund ganz nah an ihrer feuchten Wange.
Tränen sammelten sich in ihren Augen, und sie legte ihre schlanken Hände an seine Schulter. Sie hatte Angst, auch nur für einen Moment die Kontrolle zu verlieren, und stemmte sich mit aller Macht gegen ihn. “Ich muss es tun. Und ich werde es tun.”
“Du wirst gehen?” flüsterte er. “Du wirst mich hier zurücklassen? Und Marion verlassen?”
“Sei nicht unfair”, stieß sie hervor und versuchte, leise zu sprechen. “Wir wissen beide, dass du eine Entscheidung gefällt hast. Es ist nicht die Entscheidung, die ich mir gewünscht hätte, aber ich muss damit leben. Du musst mir jedoch eine Sache versprechen”, sagte sie mit Bestimmtheit. “Du musst mir versprechen, gut auf
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