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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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so durch die Lüfte schwebten. Allerdings waren sie keine Banditen. Sie jagten Fische, waren talentierte Fischer, die niemals ihr Futter erbettelten oder gar stahlen. Der Atem eines Tieres ging keuchend, was ein Anzeichen für eine Lungeninfektion war. Harris dachte bei sich, den Vogel am nächsten Morgen zur Behandlung zu holen. Der Rundgang über das Gelände war beendet. Er drehte sich um und ging zum Haus zurück. Nun hatte er Zeit, seine Entscheidung, Ella Elizabeth Majors ins sein Haus zu holen, noch einmal zu überdenken.
    Genau wie die Raubvögel reagierte er misstrauisch und vorsichtig, wenn sich ein Fremder in seinem Revier aufhielt. Es bestand ein himmelweiter Unterschied dazwischen, jemanden einzustellen, der im Büro, also auf neutralem Boden, arbeiten sollte, oder jemanden, der das Haus, das tägliche Leben mit einem teilte. Man ließ zu, dass dieser Mensch Einblick in das privateste, intimste Leben bekam. Wie würde jemand wie er, der zu viel menschliche Nähe vermied, mit dieser Situation fertig werden?
    Sie hatte in ihrem Brief geschrieben, dass sie ein Jahr bleiben wollte. Das waren zwölf Monate, zweiundfünfzig Wochen, dreihundertfünfundsechzig gemeinsame Tage. Er hoffte, dass diese Zeit ausreichen würde, um mit dem Diabetes umgehen zu können. Für Marion wollte er diese Zeit durchhalten, wollte die Fremde in seinem Leben erdulden und von ihr lernen, für seine Tochter zu sorgen.
    Abgesehen davon konnte er die Pflegerin auch nur ein Jahr lang bezahlen. Miss Majors verlangte – zu seinem Glück – nur den Mindestlohn. Aber auch dieses kleine Gehalt würde all seine Ersparnisse verbrauchen und wohl noch mehr … Irgendwie musste er das alles schaffen. Auch in der Vergangenheit hatte er solche Krisen und Geldsorgen schon gemeistert. Sogar Fannies Rechnungen konnte er begleichen.
    Fannie. Er hielt inne, fuhr sich durchs Haar und atmete tief durch. Sie war die einzige Frau, mit der er jemals zusammengelebt hatte – wenn man von seiner Mutter absah. Und wenn es
so
war, mit einer Frau zusammen zu sein, verzichtete er lieber. Oh Gott, wenn Miss Majors so war wie Fannie …
    Er schüttelte den Kopf, überrascht, wie das Adrenalin beim bloßen Gedanken an seine Frau durch seinen Körper schoss. Es bestand keine Gefahr, dass Miss Majors so war wie Fannie. Fannie gab es nur einmal auf der Welt …
    Die Entscheidung war gefallen: Er wollte Miss Ella Elizabeth Majors in sein Heim, sein Refugium lassen. Darüber hatte er gründlich nachgedacht. Auch wenn der bloße Gedanke daran seinen Atem so hektisch und keuchend wie den des Fischadlers werden ließ.
    Früh am nächsten Morgen folgte Harris Lijah zum Nest von Santee. Sie trotteten einträchtig schweigend nebeneinander durch Schlamm und Dreck am Wando River entlang. Harris konnte mit seinen langen Beinen sehr schnell und geschickt das unwegbare Gelände durchqueren. Zwei Mal hielt er kurz an, da er dachte, der alte Mann könnte eine Pause gebrauchen. Doch Lijah war nicht einmal außer Atem. Es war ein kalter, diesiger Morgen, und die Reptilien und Amphibien, die in South Carolina heimisch waren, warteten in ruhigen, dunklen Höhlen auf den Frühling, der warmen Sonnenschein bringen würde. Hier und da entdeckten die Männer den ein oder anderen glänzenden schwarzen Salamander, der sich in einem Haufen feuchter, verrottender Blätter verbarg, um Jagd auf Regenwürmer und Maden zu machen. Die Tiere schwelgten in der frischen Winterluft, paarten sich und legten ihre gallertartigen Eierstränge ab, aus denen Monate später die Kaulquappen schlüpfen würden.
    Endlich kamen die Männer an eine Stelle, an der einige alte, stolze Sumpfkiefern in den Himmel ragten. Zahllose kleinere Bäume und Büsche drängten sich zu Füßen der majestätischen Bäume, wie Kinder am Rockzipfel der Mutter. Lijah streckte den Arm aus und deutete auf etwas.
    “Da ist es.”
    Harris reckte seinen Hals, um einen Blick auf das runde Nest werfen zu können. Es war mächtig, mehr als zwei Meter im Durchmesser, und bestand aus dicken, verflochtenen Zweigen. Hoch in einer Astgabel war es gebaut worden. Daneben saß wie ein einsamer Wächter der Adler. Er starrte sie aufmerksam an. In stummem Einverständnis erlaubte er ihnen, näher zu kommen.
    “Er sitzt immer noch beim Nest”, sagte Harris. “Armer Junge.”
    “Die ganze lange Zeit hat er weitergebrütet. Ich weiß, dass es eine sehr schwere Zeit ist für ihn, so ganz ohne Santee. Ich habe getan, was ich konnte, um zu helfen.

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