Dem Himmel entgegen
verkrochen, aber wenigstens hatte sie aufgehört zu schreien. Aufmerksam beobachtete sie, wie Ella in ihre Geldbörse griff.
“Was ist das?” fragte sie angsterfüllt, als Ella eine kleine Plastikbox aus der Börse zog.
“Das ist eine Zauberbox, die deinen Finger so schnell anpiekst, dass es vorbei ist, bevor du irgendetwas spürst – du wirst überrascht sein.” In ihrer Handfläche lag das kleine Plastikteil, und Ella bemerkte zufrieden, dass Marion sich nach vorn lehnte, um das unbekannte Ding besser sehen zu können. Sie wusste, dass das Kind die Nadel nicht entdecken würde.
“Aber zuerst kommst du mal mit mir. Oh, nun sträub dich nicht, du dummes kleines Gänschen. Wir wollen nur deine Hände waschen. Komm mit.” Ohne zu zögern und auf das Einverständnis des Kindes zu warten, griff Ella Marions Hand und zog sie hinter sich her ins Badezimmer. Sie wandte Harris das Gesicht zu und formte lautlos das Wort “Teststreifen” mit ihren Lippen. Er verstand und ging los, um die Teststreifen zu holen. Während Ella die Hände des Mädchens einseifte, ließ sie ihren Blick durchs Badezimmer wandern. Unverkennbar war versucht worden, die Kacheln und das Waschbecken sauber zu halten, aber an die hygienischen Zustände eines Krankenhauses kam dieses Bad nicht heran.
“Gut, nun gucken wir uns mal deine Fingernägel an.” Sie schaute auf die kurzen Nägel und wählte dabei den Finger aus, in den sie stechen wollte. “Hmm … ich denke, wir müssen die Nägel nachher schneiden. Vielleicht sollten wir sie auch lackieren. Rosa? Ist das nicht deine Lieblingsfarbe?”
Marions Miene hellte sich auf.
“Jetzt spül deine Hände ab.” Sie wartete, bis Marion ihr den Rücken zugedreht hatte, bevor sie das Plastikgehäuse mit der winzigen versteckten Nadel herausholte. Sie zog die Augenbrauen hoch und schaute zu Harris. Der nickte kurz und hielt den Teststreifen bereit.
“Bist du fertig? Dann lass mal die Hände sehen.” Sie hielt Marions Hände fest. “Sehr gut gemacht, Marion. Hübsche, saubere Fingernägel. Gut, dann lass es uns jetzt tun, ja?” Ehe Marion sich versah, nahm Ella ihr Werkzeug, stach mit einer sehr präzisen und schnellen Bewegung in die Seite der Fingerspitze und presste schnell den Teststreifen auf die winzige Wunde.
Marions Mund stand offen, aber sie war zu verblüfft, um zu protestieren.
“Schon passiert!” Ella wusste, dass es der Anblick der Nadel war, der die Kinder am meisten erschreckte. Sie sah zu Harris rüber und stellte mit einem Schmunzeln fest, dass sein erstaunter Gesichtsausdruck dem seiner Tochter überraschend ähnlich sah. Lächelnd reichte sie ihm den Streifen, damit er ihn mit der Skala vergleichen konnte.
“Die Werte sind in Ordnung, sie kann mitkommen”, sagte er einen Augenblick später mit spürbarer Erleichterung.
“Ich denke, wir können jetzt einen Spaziergang machen, stimmt’s?” Sie griff nach Marions Hand und drückte sie sanft. Doch Marion riss ihre Hand los und sah Ella vorwurfsvoll an. Ella ertrug die Abfuhr des Kindes. Sie konnte der Kleinen nicht verübeln, beleidigt zu sein. Schließlich hatte sie Marion ausgetrickst. “Marion, läufst du vor?”
Sie spazierten bedächtig hinter dem Mädchen über das Gelände. Der Schleier der Dunkelheit legte sich sanft über das Land, und während sie durch die Schatten der hereinbrechenden Nacht lief, fühlte Ella sich wieder in eine andere Welt versetzt. Schon als sie das Eingangstor mit dem achtsamen Wächter hinter sich gelassen hatte, hatte sie so empfunden. Dieser seltsame Platz war ein Zufluchtsort inmitten einer hektischen Welt. Sie fühlte sich behütet, umgeben von den gewaltigen Bäumen und fragte sich, als sie an einem Käfig mit Eulen vorbeikam, die sie mit ihren weisen, allwissenden Augen anstarrten, ob Zufall und Schicksal nicht vielleicht doch miteinander verwoben waren. Ob ihre lange Reise hin zu dieser abgelegenen Stätte des Trostes vielleicht doch in den Sternen gestanden hatte.
Sie folgte Harris zwischen hoch aufragenden Bäumen hindurch zu einigen Holzgebilden in den unterschiedlichsten Größen und Formen.
“Es ist spät, und die tagaktiven Vögel haben sich zur Ruhe begeben. Wir sollten sie nicht stören. Ich fürchte, wir müssen den Spaziergang heute etwas abkürzen. Da hinten”, sagte er und deutete dabei auf ein L-förmiges weißes Gebäude mit tief gezogenem Dach, “dort ist die Klinik, in der wir die schwer verletzten Vögel behandeln und versorgen. Eigentlich nehmen wir
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