Dem Himmel entgegen
schwieg.
“Wo wir gerade davon sprechen … Ich muss auch heute noch mal nach ein paar Vögeln sehen. Sherry konnte sich nicht mehr darum kümmern.” Der Stuhl kratzte über den Boden, als Harris ihn zurückschob, aufstand und den Raum verließ.
Ella stand ebenfalls auf und räumte die Teller ab, als die Tür ins Schloss fiel. Der rote Stoff flatterte im Luftzug, das Feuer prasselte, und eine Lampe in der Ecke verströmte warmes gelbes Licht. Eine heimelige Szene, die plötzlich leer wirkte.
Marion rutschte von ihrem Stuhl und steuerte direkt auf den Fernseher zu.
“Marion? Wo willst du hin? Wir müssen noch abwaschen.”
“Ach, muss ich mithelfen?” Marion stöhnte und ließ die Schultern hängen, ging dann aber doch gehorsam zum Tisch hinüber, um das Besteck einzusammeln.
Ella lächelte heimlich. Marions theatralisches Benehmen rührte sie. Sie war froh, dass das Mädchen endlich einem geordneten Tagesablauf folgte. Das Kind sollte das Gefühl haben, mitzuhelfen, den Haushalt in Gang zu halten. Zuerst war es schwierig gewesen, sie überhaupt zu etwas zu bewegen. Ihr ganzes Leben lang war alles für sie getan worden. Harris und eine Reihe Babysitter hatten ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ella hatte bei null begonnen und Marion zuerst einige Pflichtarbeiten aufgetragen. Mittlerweile machte das Mädchen jeden Morgen sein Bett – auch wenn das nur bedeutete, dass sie die Decke glatt strich. Sie räumte nach dem Essen den Tisch ab – wenn auch nur das Besteck. Und sie hob ihr Spielzeug und ihre Kleider auf – meistens jedenfalls. Die wichtigste Aufgabe war allerdings, bei der Behandlung des Diabetes mitzuarbeiten, die Checks über sich ergehen zu lassen und die Zuckerwerte stabil zu halten.
Und Marion blühte förmlich auf. Sie waren schon sehr weit gekommen und bekamen die Blutwerte langsam unter Kontrolle. Marion stand früh am Morgen ohne zu murren auf und freute sich auf ihr Bad und ihre Gutenachtgeschichte am Abend. Ihre gesamte Einstellung wandte sich zum Positiven – wie ihr Gesundheitszustand.
Marion kam herein, um eine Hand voll Gabeln und Löffel in das Spülbecken zu werfen. Sie platschten geräuschvoll ins Wasser.
“Alles fertig.”
“Okay, dann saus los!”
Ella lehnte sich weit zurück, um Marion zu sehen, die von der Küche ins Wohnzimmer rannte. Als sie am Sofa vorbeikam, griff sie nach Lulu und überraschte Ella, indem sie nicht zum Fernsehapparat ging. Stattdessen lief sie zum Fenster, schob die Vorhänge zur Seite und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach ihrem Vater Ausschau zu halten.
Ella spürte einen Stich im Herzen und runzelte die Stirn, als sie zum Abwasch zurückkehrte. Egal wie gut der alltägliche Ablauf war und egal wie gut sie und Marion mittlerweile zurechtkamen – das Kind verzehrte sich trotz allem nach gemeinsamer Zeit mit seinem Vater.
Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf, während sie die Teller wusch. Das ritualisierte Spülen und Abtrocknen waren für sie immer eine gute Gelegenheit, über viele Dinge nachzudenken. Wieder musste sie an Harris’ Bitte denken, in der Klinik auszuhelfen. Sie wünschte, er hätte nie gefragt. Natürlich hatte sie die medizinischen Kenntnisse, aber sie wollte diese wirklich nicht auf Vögel anwenden. Vor allen Dingen nicht auf Vögel mit Krallen, scharfen Schnäbeln und einer möglicherweise aggressiven Einstellung. Sie hatte jedes Recht, “Nein” zu sagen, und trotzdem fühlte sie sich schuldig.
Ihr Verstand befand sich im Krieg mit ihrem Herzen. Wann stellte man seine eigenen Interessen vor die eines anderen, und wann gab man nach? Schon jetzt verbrachte Harris kaum Zeit mit Marion. Wenn er gezwungen war, noch mehr Stunden in der Klinik zu sein, würde das arme Kind ihn gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es war herzzerreißend zu sehen, wie Marions Augen sich mit Sehnsucht füllten, wann immer ihr Vater in der Nähe war.
Ella hielt mit dem Abwasch inne. Sie dachte an die Zeit zurück, als sie ein kleines Kind war und am Fenster auf ihren Daddy und ihre Mommy gewartet hatte. Es war so zermürbend gewesen … Sie hatte sie schon vermisst, bevor sie gestorben waren.
Wieder sah sie zu Marion hinüber. Das Kind hielt seine Puppe Lulu fest an die Brust gedrückt und lehnte betrübt am Fenster. Ella drehte das Wasser ab und ließ den letzten Topf in der Spüle zurück. Sie trocknete sich die Hände ab und ging direkt zu Marion hinüber. Behutsam kauerte sie sich neben sie, zog sie vom Fenster weg und
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