Dem Himmel entgegen
wartet schon auf dich!”
Er runzelte besorgt und ängstlich die Stirn – ungewöhnlich für ihn, der sonst immer so tapfer war. “Kommst du mit mir?”
Ella wunderte sich über seine Angst, setzte aber ein breites Lächeln auf und sagte: “Ich komme nach, sobald ich kann.”
Er lächelte schwach.
“Bist du hungrig?”
Er nickte, es war ihm unangenehm, es zuzugeben.
“Ich lasse dir etwas Leckeres raufkommen.” Sie tätschelte seine Hand. In dem Moment umklammerte er ihre Hand, so fest er konnte. Ihr Herz machte einen Hüpfer, sie sah ihn an und drückte seine Hand.
“Ella?”
Sie kam ganz nah an ihn heran. “Ja, mein Süßer?”
“Gib nicht meiner Mommy die Schuld. Sie kann nichts dafür. Ich habe es einfach vergessen.”
Sie strich ihm eine Strähne feuchten Haars aus dem Gesicht und unterdrückte die Gefühle, die sie zu übermannen drohten. Sie konnte diese selbstlose Hingabe nicht nachvollziehen. Es brach ihr das Herz. Im Himmel gab es einen besonderen Platz für solche Kinder, die sich um ihre Eltern sorgten. Und für die Eltern gab es einen Platz in der Hölle …
“Ich werde niemanden beschuldigen, Süßer. Vor allem nicht dich. Und weißt du, warum?”
Er schüttelte matt den Kopf.
“Weil du so lieb bist.”
Seine schweren Lider fielen ihm vor Erleichterung und unendlicher Müdigkeit zu. In einer impulsiven Geste, die sie sich nur selten zugestand, beugte sie sich hinunter, um seine kalte Wange zu küssen. Ihr Herz schlug schnell, die Zuneigung, die sie für Bobby empfand, war überwältigend, und sie schwor sich, dass sie so ein Leid in Zukunft verhindern würde. Und wenn sie ihn adoptieren müsste – sie würde ihm die Gefahr für Leib und Leben, die durch die Vernachlässigung entstand, ersparen.
Als eine andere Schwester die Trage langsam zur Kinderstation rollte, spürte sie, wie sein Griff sich verstärkte. Er hatte Angst. “Sei ganz ruhig, du weißt doch, was passiert”, beruhigte sie ihn und drückte seine Hand. “Ich werde nachher zu dir kommen und nach dir sehen. Das verspreche ich.”
Wie sie schon vorhergesehen hatte, war es eine sehr hektische Nacht mit vielen Einsätzen. Stunden später war Ella endlich unterwegs auf die Kinderstation im dritten Stock. Erleichtert stellte sie fest, dass sie niemand anhielt und nachfragte, was sie mit dem Teddy im Arm vorhatte. Sie selbst lehnte zu enge Verhältnisse zwischen Krankenhauspersonal und Patienten ab. Solche Verbindungen hatte sie immer als problematisch erachtet, wenn der Patient nach Hause durfte – oder wenn er starb. Immer wieder hatte sie erlebt, wie Schwestern ihr Herz zu sehr an eines der Kinder gehängt hatten und dann völlig aus der Bahn geworfen wurden, wenn es starb.
Der Aufzug hielt an. Ella zupfte lächelnd am Ohr des Stoffbären und fragte sich, wie es wohl sein mochte, nur für ein Kind zu sorgen statt für viele. Wie mochte es sein, ein Kind zu lieben? Und sie hatte so viel Liebe zu geben.
Die Fahrstuhltüren glitten auf, und Ella sah die freundlich gestrichenen Wände der Kinderstation. Sie kannte diese Station genauso gut wie ihre eigenen vier Wände; offen gesagt verbrachte sie mehr Zeit dort als zu Hause.
“Hallo”, sagte sie fröhlich zu der Schwester am Empfang. “In welchem Zimmer liegt Bobby D’Angelo?”
“Raum 317. Aber Ella, warte! Du gehst da jetzt besser nicht hinein. Sie versuchen, ihn wiederzubeleben. Er hatte einen Herzstillstand.”
Die Worte hallten in Ellas Kopf wider. Sie stürmte zu seinem Zimmer. Vom Flur aus konnte sie schon die kurzen, staccatohaften Anweisungen hören. Als sie näher kam, sah sie den Wagen mit dem Defibrillator. Sie trat an die Seite, um dem Ärzteteam und den Schwestern nicht im Weg zu sein. Das Team arbeitete fieberhaft. Ellas Blick suchte die dünne, unregelmäßige Linie auf dem Herzmonitor.
“Stirb nicht, stirb nicht, stirb nicht”, betete sie bei jedem Ausschlag der Kurve.
Zeit und Raum verschwammen in ihrer Wahrnehmung. Das Team gab das Kind nicht auf, immer wieder setzten sie den Defibrillator ein. Ella presste den Teddybären jedes Mal an sich, wenn sich der zerbrechliche Körper des Jungen unter den Stromstößen aufbäumte. Nach jedem krampfartigen Schock lagen Bobbys Arme schlaff auf dem Laken. Die Haut war gespenstisch bleich und so furchtbar dünn, dass sie die blauen Adern, die von seinen Handgelenken zu seinen Ellbogen führten, wie kleine blaue Flüsse erkennen konnte.
Ella starrte auf die schlanken Hände. Sie lagen flach auf dem
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