Dem Himmel entgegen
die Augenbrauen hoch und machte dann ein erwartungsvolles Gesicht.
“Harris, erzählen sie mir von Fannie. Ich will nicht neugierig sein, aber ich muss es wissen, wenn ich Marion helfen will.”
“Es gibt nichts, was Sie wissen müssen.”
“Warum lassen Sie nicht zu, dass sie wenigstens ein Bild von ihrer Mutter hat?”
“Ich denke, es geht ihr besser, wenn sie nicht an sie denkt.”
“Aber sie vermisst sie.”
“Nein, sie vermisst nur die Vorstellung, eine Mutter zu haben, nicht ihre Mutter selbst.”
“Sind Sie sicher?”
Im Schimmer des Mondlichtes erschien sein Gesicht so unbeweglich und kühl wie Granit. “Hören Sie, Ella. Sie wissen nicht das Geringste über die Sache. Es ist eine sehr komplizierte Geschichte.”
“Ich muss ja nicht alles wissen. Aber was ich ganz sicher weiß, ist, dass Marion Kontakt zu ihrer Mutter braucht. Ein Bild, die Möglichkeit, über sie zu sprechen,
irgendetwas.”
“Ich sagte nein. Es wäre zu schmerzhaft.”
“Für Marion oder für Sie?”
Seine Augen blitzten auf, und an seiner Wange zuckte ein einzelner Muskel. “Dies ist mein Haus”, sagte er scharf. “Und Marion ist mein Kind. Es wird keine weiteren Diskussionen über ihre Mutter geben.”
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er hob abwehrend die Hand.
“Ich wünsche, dass Sie diese Entscheidung respektieren. Ohne Diskussion.”
Sie presste die Lippen aufeinander und hob trotzig den Kopf, um in die Sterne zu schauen. Es kostete sie Überwindung, den Mund zu halten.
“Ella, es ist nicht so, dass ich Ihnen nicht vertrauen würde”, sagte er und fügte dann mit weicher Stimme hinzu: “Glauben Sie mir, das ist wirklich nicht so.”
Sie wandte ihm den Kopf zu. Er hatte die verblüffende Fähigkeit, sie immer wieder aus der Fassung zu bringen.
“Offen gesagt habe ich genau das gedacht, als ich heute Abend in der Klinik arbeitete. Ich musste mir keine Sorgen über Marion machen oder darüber, ob sie ihre Medizin rechtzeitig bekommt, ob sie wohlbehütet im Bett liegt oder über sonstige Dinge, die Eltern im Kopf herumgeistern. Das erste Mal seit langem konnte ich mich entspannen und mich auf meine Arbeit konzentrieren – weil Sie da waren.”
“Das ist ein schönes Kompliment, und ich danke Ihnen dafür.” Sie hielt inne und verschränkte die Hände vor ihrem Körper. “Es scheint, als hätten wir beide viel nachgedacht heute Abend.” Harris lächelte sie aufmunternd an, und das ermutigte sie fortzufahren. “Harris, ich habe Marion sehr ins Herz geschlossen. Ehrlich gesagt … ich habe sie wirklich lieb. Aber ich möchte nicht den Vater in ihrem Leben ersetzen. Ich denke auch nicht, dass ich das könnte, jedenfalls nicht, solange sie noch so klein ist. Doch wenn sie älter wird, besteht die Gefahr, dass Sie eine immer weniger wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Sie streicht Sie gewissermaßen aus ihrem Kopf, einfach, weil Sie selten zu Hause sind.”
“Ich verstehe nicht”, sagte er und blickte sie aufmerksam an.
“Es ist ganz einfach. Sie müssen mehr Zeit mit ihr verbringen.”
In seinem Gesicht spiegelte sich Resignation wider, wie bei jemandem, der das Argument zum hundertsten Male hört und doch nichts am Status quo ändern kann. “Ella, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Sie kennen meine Situation. Wenn Sherry weg ist, wird es nur noch schlimmer.”
Ella presste ihre Hand gegen die hölzerne Stütze. Diese Entscheidung war an diesem Abend in ihr gewachsen, trotz all der Argumente, die sie dagegen vorbringen konnte. In diesem Moment jedoch wusste sie genau, wohin ihr Weg führte – als wäre sie beinahe an einem Puzzle verzweifelt, doch jetzt wurde endlich ein Schema sichtbar.
Sie war hergekommen, um für Marion da zu sein und ihr zu helfen. Doch ihr wurde klar, dass sie Marion nur helfen konnte, wenn sie ihrem Vater half. Ihre Schicksale waren miteinander verwoben. Das hatte sie schon von Anfang an geahnt, wusste aber nicht, was sie hätte tun können. Das letzte Puzzleteil hatte sie nicht gesehen – oder hatte es nicht sehen wollen. Sie konnte keinem von beiden helfen, wenn sie nicht auch sich selber half.
Sie befeuchtete ihre Lippen und stieß hervor: “Darüber wollte ich mit Ihnen reden.”
Seine Augen blickten fragend.
“Ich habe über Ihre Bitte beim Abendessen nachgedacht”, begann sie. “Ihnen in der Klinik zur Hand zu gehen. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich nicht so eine große Hilfe sein kann, wie Sie es sich vorstellen, aber
Weitere Kostenlose Bücher