Dem Killer auf der Fährte
bestimmt auf Kevins Liste der gottverdammten Personen, zusammen mit vielen, vielen anderen.
Die Observatory-Hill-Zweigstelle der öffentlichen Bücherei befindet sich auf der Concord Avenue, beinahe direkt gegenüber von meinem Haus, an der Ecke des neuen Harvard-Häuserkomplexes. Rita hatte mir eines ihrer Bücher von Elaine Walsh geliehen, und nun wollte ich noch ein anderes durchsehen. Ich las noch etwas mehr über Elaines Ansichten über die Ehe und versuchte, es aus der Perspektive von Sheila Moss zu lesen, und, obwohl ich fast nichts über ihn wußte, aus der von Ben Moss.
Elaine schrieb in diesem Buch, daß es notwendig sei, Männer zu einer Nebensache im Leben von Frauen zu machen. Damit eine Frau zum Mittelpunkt ihres eigenen Lebens werden könne, müßten sich die Männer an die Peripherie begeben, oder dorthin abgeschoben werden. Elaine war der Meinung, daß Präsenz Macht sei. Und um Macht zu erlangen, müßten die Frauen Wut und Destruktion akzeptieren und beides einsetzen. Sie schien noch weniger Geduld für Frauen aufzubringen, die versuchten, Kompromisse zwischen der Vergangenheit und der Zukunft herzustellen, als andere Feministinnen, die ich gelesen hatte (was nicht viele waren). Wäre ich Sheila Moss, würde ich mich davon herabgesetzt fühlen. Und Ben Moss? Nach allem, was mir Kevin erzählt hat, hat er in Elaine wahrscheinlich nur eine unbekümmerte Draufgängerin gesehen.
»Haben Sie Elaine Walsh gekannt?« fragte mich Sheila Moss, die gerade eine Packung Pleasant-Valley-Hüttenkäse in der Hand hielt.
Ich muß zusammengezuckt sein und stotterte: »Ja. Nicht allzugut. Ich hatte sie erst kurz bevor sie starb kennengelernt.«
Ein paar ziemlich direkte Fragen an Jim, den Milchmann, hatten mir ermöglicht, meinen Besuch bei Sheila Moss zeitgleich mit der Lieferung von Pleasant Valley einzurichten. Ich glaube allerdings nicht, daß Jim etwas bemerkt hat. Er hatte sich inzwischen vermutlich daran gewöhnt, Fragen über den Hüttenkäseverbrauch seiner Kunden zu beantworten. Der Vorwand für meinen Besuch war, daß ich ein paar Photos von dem Ridgeback, Es, machen wollte, der sich auf dem Linoleumboden zu einem riesigen, weizenfarbenen Knoten zusammengerollt hatte und schlief. Sowohl der Hund als auch der Fußboden konnten etwas Wasser und Seife vertragen. Sheila packte die Lieferung von Pleasant Valley in einen Kühlschrank, der außen mit abstrakten Kinderzeichnungen gepflastert war, bei denen sich die Ränder aufrollten. Unten auf der Kühlschranktür hatte jemand mit bunten, magnetischen Buchstaben die Mitteilung »Josh Moss ist ein Arschloch « geschrieben. Die Mosses hielten offenbar viel vom Recht der freien Meinungsäußerung für Kinder.
»Das Merkwürdigste an Elaines Tod ist«, setzte Sheila unsere Unterhaltung fort, »daß sie eigentlich gar keinen Hüttenkäse mochte.« Sie lag jetzt auf den Knien und zwängte so ziemlich alles, was Jim verkaufte, in den Kühlschrank, indem sie die in sechs Zweiliterflaschen abgefüllte Milch in das oberste Fach stapelte und den Joghurt, den Sauerrahm und ein paar Einpfundkartons Hüttenkäse auf die mit Aluminiumfolie bedeckten Teller und Schalen in den unteren Fächer legte. Zuvor hatte sie bereits drei Viertelliterpackungen Eiscreme in das Kühlfach gepreßt. »Sie hat überhaupt nichts von diesem Zeug gemocht«, fügte Sheila noch hinzu, indem sie auf die Packungen wies. »Joghurt, Milch, keine weißen Nahrungsmittel.«
»Wissen Sie, was mich überrascht hat?« fragte ich. »Ich glaube, ich war überrascht, daß sie überhaupt gekocht hat. Irgendwie habe ich Elaine nicht für eine Frau gehalten, die kocht. Sie hatte so gar nichts Häusliches. Ich hatte angenommen, daß sie von Fertiggerichten lebt.«
»Da irren Sie sich«, sagte Sheila. Über einem ungebügelten Jeanshemd trug sie einen indischen Trägerrock und rote Wollsocken in Birkenstock-Sandalen. Ihre Beine waren stark behaart. »Sie hat an Autarkie und Unabhängigkeit geglaubt. Wenn Sie mich fragen, war sie im Grunde isolationistisch. Sie hat darüber in irgendeinem Buch geschrieben. Über das Kochen, meine ich.«
»Ein Kochbuch?« fragte ich verblüfft und dachte so etwas wie >Leckerreien für den Liebhaber< vielleicht? Aber natürlich war ich zu höflich, um es laut zu sagen.
Sheila lachte. »Nein. Sie war keine besonders gute Köchin. Es ging ihr nur darum, daß Frauen sich die Mühe machen sollten, gut für sich zu sorgen. Sie meinte, daß wir Frauen immer nur für die
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