Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
bis in den November hinziehen.
Die meisten der zwölf Beweisanträge der Verteidigung zielen auf die Glaubwürdigkeit von Egidius S. Dieser habe sein Geständnis widerrufen, weil er die Morde tatsächlich nicht begangen habe. Andere kämen als Täter infrage, so der Anwalt des Angeklagten. Und genau das will er nun vor Gericht beweisen. Der Verteidiger hat sogar einen Privatdetektiv mit weiteren Recherchen beauftragt. Und nun erfahren endlich auch die Zuhörer im Gerichtssaal, worum es sich bei dieser ominösen Spurenakte 86 eigentlich handelt. Es geht um den Mord an Andrea W.
1984 wurde die Leiche der 15-Jährigen von einem Bauern in einem Hohlweg bei Broichweiden, nahe dem Firmengelände der Spedition Offergeld , gefunden – misshandelt und erwürgt. Bereits kurz nach der Tat ermittelte die Polizei einen Verdächtigen, den Glasermeister Hermann B. aus Herzogenrath-Merkstein. Doch die Spur wurde – so Egidius S.’ Verteidiger – nicht weiter verfolgt.
1987 vergiftet sich Hermann B. mit dem Unkrautvernichtungsmittel E 605 ; angeblich, weil er mit der Last, ein Mädchen getötet zu haben, nicht fertig wurde. Gerüchten zufolge soll es ein Geständnis gegeben haben, in dem er sich selbst des Mordes an Andrea W. bezichtigte. Der Verteidiger will dem Gericht nun eine Zeugin für dieses Geständnis präsentieren.
Andere Zeugen von damals sollen ausgesagt haben, Hermann B. habe sich auch an eine minderjährige Nichte »herangemacht«. Und er habe auch Andrea W. gekannt und mehrfach im Auto mitgenommen. Dies stehe jedoch leider nicht in der Akte, sagt der Verteidiger. Nach dem Selbstmord des Glasermeisters habe die Polizei die Todesermittlungsakte geschlossen, ohne weiter nachzuforschen, stellt er in den Raum. Man habe die Sache einfach ruhen lassen. Nun will er, dass der verantwortliche Beamte und weitere Zeugen dazu vor Gericht befragt werden. Der Anwalt findet es »komisch, dass das nicht weiterverfolgt wurde«.
Auch das einzelne Schamhaar, mit der seltenen Blutgruppe AB, das an Angelika S.’ Leiche gefunden worden war, spielt in einem der Beweisanträge des Verteidigers eine Rolle. Er behauptet, dass auch der Glasermeister Blutgruppe AB gehabt habe. Somit komme er auch für diesen Mord in Betracht.
Ein wenig erinnert das, was der Verteidiger hier veranstaltet, an amerikanische Gerichtsserien. Ständig zaubert er neue Beweisanträge aus dem Hut, immer in letzter Minute und der unbeteiligte Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er damit auf Zeit spielt.
Die Zeugin, die Kenntnis von dem Geständnis des Glasermeisters haben will, hat der Anwalt auch gleich mitgebracht. Es ist die 55jährige Renate G. aus Herzogenrath-Merkstein. Nach kurzer Beratung lässt der Vorsitzende Richter ihre Aussage zu. Die Befragung der Frau dauert fast zwei Stunden. Sie erzählt, dass das ganze Örtchen über Hermann B.s Machenschaften Bescheid gewusst habe – er sei wie ein Aussätziger behandelt worden und dies habe schließlich dazu geführt, dass er nicht mehr leben wollte. Nach seinem Selbstmord sei B.s Witwe – eine Freundin ihrer Mutter – mit einem Brief zu ihnen nach Hause gekommen. Gemeinsam mit ihrer Mutter, so die Zeugin, hätte die Witwe den Abschiedsbrief gelesen. An den Satz: »Ich habe Andrea umgebracht und bei Offergeld abgelegt«, könne sie sich noch wortwörtlich erinnern. Ihre Mutter habe daraufhin entgegnet »tot sei tot« und der Bekannten empfohlen, den Brief zu vernichten.
Warum sie erst so spät davon berichte, fragt der Vorsitzende Richter die Zeugin und diese antwortet, sie habe vorher nichts von dem Prozess gehört, erst Mitte Juli in einem Anzeigenblättchen davon gelesen. Nun wolle sie verhindern, dass ein Unschuldiger verurteilt werde.
Richter und Anklagevertreter sehen Glaubwürdigkeitsdefizite. Außer dem genannten Zitat will die Zeugin nichts weiter mitbekommen haben. Dazu kommt, dass in der damaligen polizeilichen Vernehmung des Glasermeisters keinerlei Selbstbezichtigungen protokolliert seien.
Der Staatsanwalt kritisiert die Praxis des Verteidigers, ständig neue Beweisanträge zu stellen, und diese über die Medien anzukündigen, aufs Heftigste. Zudem sei es zu prüfen, ob sich der Detektiv, den die Verteidigung beauftragt hatte, bei seinen Nachforschungen nicht strafbar gemacht habe. Die Staatsanwaltschaft droht dem Verteidiger ein Standesrechts- und Strafrechtsrechtsverfahren an, das den Anwalt jedoch nicht zu beeindrucken scheint.
Nach vier Stunden gibt der Richter
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