Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
den Ermittlungen an. Seinen Worten nach sollen zwei weitere Verdächtige nicht genügend verfolgt worden sein. Dass man im Körper von Angelika S. Spermien seines Mandanten gefunden habe, leugnet der Rechtsanwalt nicht. Spermaspuren seien jedoch nicht automatisch ein Zeichen dafür, dass der Verursacher auch ein Mörder sei.
Dann wehrt sich der Verteidiger gegen die vermeintlichen Vorwürfe, er habe mit seinen unzähligen Beweisanträgen den Prozess verzögert: »Es ist das gute Recht der Verteidigung, die Sachen aufzuklären.«
Er beendet sein Plädoyer mit den Worten: »Der Kampf um die Freiheit meines Mandanten geht weiter.« Und auch Egidius S. bricht sein Schweigen. »Ich schließe mich meinem Verteidiger an und beteuere meine Unschuld.«
Die Zuhörer im Gerichtssaal sind erschüttert ob so viel Unverfrorenheit und können doch nichts dagegen tun. Jetzt können sie nur noch auf die Urteilsverkündung hoffen, die für Donnerstag in einer Woche angekündigt ist.
Spurenakte 8 6
Donnerstag, 17. Juli 2008
Schon lange vor 11:00 Uhr haben sich die über 100 Zuschauer, Angehörige und Pressevertreter im Schwurgerichtssaal des Aachener Landgerichts eingefunden. Heute soll das Urteil gegen den »Würger von Aachen« verkündet werden; gegen den Mann, der mindestens fünf Anhalterinnen im Großraum Aachen missbraucht und ermordet haben soll. Die Staatsanwaltschaft hat eine lebenslange Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragt. Dass das Gericht der Forderung der Verteidigung nach Freispruch nachkommen könne, glaubt keiner der Anwesenden, zu deutlich ist die Beweislage.
Es ist fast, als halte der gesamte Saal den Atem an, als der Vorsitzende Richter, die beiden weiteren Richter und die Schöffen den Raum betreten. Wie ein einziger Organismus erheben sich die Anwesenden. Unter ihnen Eltern, Geschwister, der Sohn von Sabine N., Freunde. Sie erwarten, dass ihnen heute endlich Gerechtigkeit widerfährt, dass der Mörder verurteilt wird. Doch sie alle werden enttäuscht werden.
Der Verteidiger hat noch ein As im Ärmel – zwei neue Beweisanträge. Sie sollen die Unschuld seines Mandanten belegen. Wieso kommt er erst jetzt damit an? Wusste er vorher nichts von den neuen Beweisen? Niemand kann das glauben, und doch muss das Gericht die neuen Anträge zumindest prüfen. Worum geht es?
Der Verteidiger fordert, dass die »Spurenakte 86« zum Beweis, dass sein Mandant die Morde nicht begangen hat, herangezogen werde müsse. Der zweite Beweisantrag bezieht sich auf die Todesermittlungsakte von 1987, in der es um den Fall Angelika S. geht.
Der Vorsitzende Richter lässt die »Spurenakte 86« herbeischaffen. Sie wird auf die Schnelle zwölf Mal kopiert, damit jeder Verfahrensbeteiligte ein Exemplar erhält. Danach bekommen die Beteiligten 50 Minuten Zeit, die Akte zu lesen.
Nachdem die Lesepause verstrichen ist, tut der Verteidiger kund, dass die Zeit für ihn nicht ausgereicht habe, die 20 Seiten ausführlich zu lesen. Er beantragt daher eine Verschiebung des Prozesses, um das Material auswerten zu können. Hat er denn die Akte nicht bereits im Vorfeld gründlich studiert? Oder wie sonst kommt er so plötzlich darauf, dass sie noch neue Informationen enthält, die seinem Mandanten nutzen könnten?
Der Oberstaatsanwalt lehnt die neuen Beweisanträge vehement ab. Es handele sich zum einen um Gerüchte, zum anderen sei die Lesepause von fast einer Stunde lang genug gewesen, um die Inhalte zu prüfen. Dazu käme, dass die Polizei keine Geständnisse anderer Personen zu den Taten unter den Tisch fallen lassen habe.
Doch das Gericht will dazu heute keine Entscheidung fällen. Womöglich hat die Zeit für den Verteidiger tatsächlich nicht ausgereicht. Gäbe es dem Antrag der Staatsanwaltschaft nach, könnte dies eine mögliche Berufung aufgrund von Prozessfehlern erleichtern. Und so wird der Prozess um vier weitere Wochen vertagt und das Urteil soll nunmehr am 12. August verkündet werden.
Die Scharade geht weiter
Dienstag, 12. August 2008
Die Prozessbeobachter, die an diesem Dienstagnachmittag im Landgericht Aachen auf ein Ende des Prozesses gegen Egidius S. gehofft haben, werden bitter enttäuscht.
In den zurückliegenden Wochen hat der Verteidiger seine Chance genutzt und eine Vielzahl weiterer Beweisanträge gestellt. Der Vorsitzende Richter muss diese Entwicklung zumindest geahnt haben, denn er hat nicht nur einen Prozesstag, sondern gleich 26 weitere anberaumt. So könnte sich das Verfahren
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