Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Auch mit ihrem Sohn käme L. gut zurecht. Er spiele und tobe ausgiebig mit dem Dreijährigen.
Auch Kathrins Mutter beschreibt vor Gericht L.s Beziehung zu ihrer Tochter und den beiden Kindern als ganz normal. Meist gingen sie liebevoll miteinander um, natürlich habe es auch ab und an Streit gegeben; zum Beispiel um Geld oder die richtige Erziehung der Kinder. Mario L. habe in solchen Situationen allerdings nicht lautstark argumentiert, sondern sich zurückgezogen, das Zimmer verlassen, »dicht gemacht«. Die Funkstille habe schon einmal längere Zeit andauern können, doch irgendwann sei es dann wieder gegangen. Man hätte auch von Trennung gesprochen, aber das habe sie nicht so ernst genommen.
Eines Tages besuchen L. und seine Lebensgefährtin eine ehemalige Schulfreundin von Kathrin. So lernt er Sandy S. kennen. Sandy S. ist die Mutter der kleinen Ayla.
Die Familien besuchen sich in der Folgezeit öfters, unternehmen gemeinsam mit den Kindern etwas.
Aylas Mutter findet die Begegnungen mit dem Angeklagten merkwürdig. Sie kann keinen richtigen Draht zu ihm finden. Manchmal sei es vorgekommen, dass sie sich minutenlang schweigend gegenüber gesessen hätten.
Ayla selbst findet Mario L. »komisch«.
Sandy S. spricht während eines dieser Treffen auch mit ihrer Freundin darüber, dass Ayla seit der Geburt ihrer Schwester allein zur Schule gehen dürfe. Mario L. sitzt dabei.
Im Frühjahr 2005 löst Kathrin die Bindung zu Mario L. Bringt diese Trennung das labile Gleichgewicht durcheinander?
»Ich war’s«
Die kleine Ayla verschwindet am 17. Mai 2005 kurz vor 8:00 Uhr spurlos.
Um 8:36 Uhr geht ein Notruf bei der Polizei ein. Es ist Aylas Mutter. Das erste Telefonat dauert genau 18 Sekunden.
»Ich habe die Befürchtung, mein Kind wurde entführt. Ich habe ihren Schuh, den sie heute früh anhatte, bei uns im Hof gefunden. Mein Kind ist nicht in der Schule und nicht im Hort angekommen.«
Um 9:50 Uhr löst die Polizei die Fahndung aus. Über 100 Beamte – alle die zu der Zeit im Dienst sind – beginnen mit der Suche nach dem verschwundenen Kind.
Kurz vor 10:00 Uhr sehen Angestellte einer Firma in Gößnitz L.s Auto auf dem Hof stehen. Er hat dort als Schweißer gearbeitet und seinen Spind in den Umkleideräumen behalten, obwohl er vor zwei Monaten wegen Mangels an Aufträgen entlassen worden ist.
Man schätzte ihn, weil er fleißig und ordentlich war. Bei besserer Auftragslage – so wurde ihm bei der Entlassung versprochen – werde man ihn sofort wieder einstellen. Auch vor Gericht loben ihn die Kollegen aus dem Betrieb. Er sei ein brauchbarer Arbeiter, ruhig, stets zuverlässig, unauffällig.
Kurze Zeit nachdem das Auto auf dem Hof der Gößnitzer Firma bemerkt wurde, wird Mario L. gesehen, wie er aus den Umkleideräumen kommt. Hat er hier geduscht?
L. fährt in den anderen Betriebsteil der Firma. Er hat hier um 10:30 Uhr ein vereinbartes Bewerbungsgespräch.
Um 10:25 Uhr trifft er im Verwaltungsgebäude ein, spricht mit dem Chef und bittet um Wiedereinstellung. Er kommt gerade richtig, die Firma braucht Schweißer. Da L. jedoch keine Arbeitskleidung dabei hat, kann er nicht sofort mit der Arbeit beginnen. Wollte er das Bewerbungsgespräch später als Alibi nutzen oder warum hat L. die Arbeitskleidung vergessen?
Dem Chef fällt an L.s Verhalten nichts Besonderes auf. Auch einem Arbeitskollegen, dem er an diesem Vormittag im Betrieb bei der Suche nach Zeichnungen hilft, zweieinhalb Stunden nach Aylas Verschwinden, bemerkt nichts Auffälliges in seinem Verhalten: »L. war wie immer.«
Mario L. verlässt die Firma wieder und fährt in Richtung Zwickau. Nun erledigt er verschiedene Besorgungen, kauft ein. Anhand der aufgedruckten Zeiten auf verschiedenen Kassenbons kann dies später minutiös nachvollzogen werden.
Ab 14:00 Uhr ist er wieder daheim. Nun hilft L. seinem Gartennachbarn, einem ehemaligen Lehrer, beim Setzen von Rasenkantensteinen.
Inzwischen gehen die Polizeibeamten in Zwickaus Nordvorstadt »Klinken putzen«, das heißt, sie befragen systematisch die Anwohner der Gegend, fertigen Aufsteller an und postieren sich an strategischen Punkten der Umgebung, zum Beispiel vor dem Kindergarten am Nordplatz – vielleicht haben Eltern, die ihr Kind früh dorthin gebracht haben, etwas beobachtet?
Ein Fahndungsplakat mit der Überschrift »Die Polizei bittet um Unterstützung« wird erstellt. Neben Aylas Schulanfangsfoto liest man ihre Personenbeschreibung:
etwa 130 Zentimeter groß,
schlanke
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