Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
»Brutalität, Gefühlskälte und Rohheit«. Und doch wird die Tat letztendlich als missglückter »Scherz« eingestuft.
Sexuelle Motive können die Richter bei der Tat nicht erkennen. Fallanalytiker sehen das anders. Die Lust, andere Menschen zu erschrecken, kann Ausdruck einer tiefgreifenden Beziehungsstörung sein: »Ein Täter, der seine Opfer erschreckt, will Macht demonstrieren und Kontrolle ausüben« (Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden). Sexuelle Dominanz, krankhafte sexuelle Phantasien haben auch fast immer mit Macht zu tun. Dem Täter geht es vorrangig nicht um die Befriedigung seiner sexuellen Einbildung, sondern um Machtausübung. Oft reicht es dem Täter aus, das Opfer zu quälen, zu terrorisieren, um gleichermaßen sexuelle Befriedigung zu erreichen.
Bis heute äußert L. sich nicht weiter zu den Gründen für diese Tat. Hat er sie je verarbeitet? Hat es ihm auch nur ein bisschen leid getan, einen Menschen ermordet zu haben? Hätte eine Therapie dem Mann helfen können? Nichts von dem geschieht. Stattdessen wird er verurteilt: 15 Jahre Gefängnis – Mario L. wäre bis zum Jahr 2000 in Haft gewesen.
Die Wende ändert alles. Laut bundesdeutschem Recht war L. zur Tatzeit noch minderjährig. Er hätte demnach nach Jugendstrafrecht verurteilt werden müssen. Die Höchststrafe hierfür liegt in der Bundesrepublik bei zehn Jahren. L.s Urteil wird nach der Wende geprüft. Als Ergebnis braucht er nicht die gesamte Haftstrafe von 15 Jahren abzusitzen, die im Urteil vom Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt verhängt wurde. 1992 kommt Mario L. frei. Nach siebeneinhalb Jahren.
Die Strafe für einen Mord ist hiermit verbüßt.
Später kommt ans Tageslicht, dass Mario L. Trophäen vom Mord an der alten Frau behalten hat – Wäschestücke, ihren Personalausweis. Nach der Tat vergräbt er die Fetische im Wald. Nach seiner Freilassung will er sich seine Trophäen wiederholen. Zu seinem Entsetzen sind sie durch die vielen Jahre im Boden zerfallen.
L. ist durch die Gefängnisstrafe nicht »geheilt«. Was er außer seinem »normalen« Alltagsleben in den Jahren nach 1992 tut, bleibt weitestgehend verborgen; er arbeitet als Zerspanungsfacharbeiter, Hausmeister, Fahrradmonteur und Fliesenleger, doch schon vier Jahre später steht der junge Mann erneut vor Gericht. Dieses Mal wegen Unterschlagung eines geliehenen Autos. Er wird verurteilt, bekommt eine auf drei Jahre ausgesetzte Bewährungsstrafe.
Ein Jahr darauf, 1997, soll Mario L. in den Herbstferien die beiden Kinder seines älteren Bruders betreuen. Die Jungen sind sieben und neun Jahre alt. Er nutzt die Gelegenheit und vergreift sich an den beiden, fordert sie auf, sich vor ihm auszuziehen, befriedigt sich dann selbst vor ihnen. Die Tat kommt heraus, L. wird wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. Nach DDR-Recht hätte L. zu dieser Zeit noch im Gefängnis in Waldheim gesessen.
Das Amtsgericht Zwickau stuft L. im Prozess als »nicht einschlägig vorbestraft« ein, hat er sich doch bisher noch nie sexuell an Kindern vergangen. Dies wird strafmildernd gewertet. Und doch heben die Richter symbolisch den Zeigefinger. Sie weisen darauf hin, dass L. eine »höchst ungünstige Kriminalprognose« habe. Er sei »nicht in der Lage, sich ohne die Einwirkung des Strafvollzuges straffrei zu halten«.
Eine psychologische Behandlung als Sexualstraftäter unterbleibt. Zwei Jahre später ist Mario L. wieder frei.
2003 lernt er seine Lebensgefährtin Kathrin bei einer Geburtstagsfeier kennen. Seiner Mutter stellt er die junge Frau gleich beim ersten gemeinsamen Besuch als »Verlobte« vor. Das Glück scheint vollkommen, auch wenn L. ab und zu arbeitslos ist. Allerdings ist die Idylle nicht ungetrübt. Mario übernachte häufig zu Haus, anstatt bei seiner »Verlobten«, gibt die Mutter vor Gericht zu Protokoll. Ihr Junge habe manchmal eben »eine Auszeit« nötig.
Die Lebensgefährtin hat einen dreijährigen Sohn, der angeblich hyperaktiv ist. Mario L. fühlt sich gestresst.
2004 wird die gemeinsame Tochter geboren. Mario L., seine Lebensgefährtin und die beiden Kinder führen ein ganz normales Leben, so scheint es für Außenstehende. Hat der Mann sich endlich gefangen?
Die Lebensgefährtin malt in ihrer Aussage vor Gericht das Zusammenleben mit Mario L. in den schillerndsten Farben. Er sei liebevoll und aufmerksam, bringe ihr Blumen mit, erledige anfallende Arbeiten im Haus und trinke nicht. Über seine kleinen Fehler könne sie gut hinwegsehen.
Weitere Kostenlose Bücher