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Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Sichtfeld.
    Nur eine Minute später biegt der Wagen eine Straßenecke weiter vorn aus der Freiligrathstraße wieder auf die Leipziger Straße ab und fährt nun direkt an der Straßenbahnhaltestelle vorbei stadtauswärts. In diesem Augenblick kommt die Straßenbahn und die Schülerin steigt ein. In ihrer Schule angekommen, berichtet sie noch am Vormittag der Vertrauenslehrerin von dem Vorfall. Diese informiert die Polizei.
    Ein Mann, der am Nordplatz wohnt, sieht am Morgen des 17. Mais zufällig aus dem Fenster auf die Leipziger Straße hinaus. Kinderschreie lassen ihn aufhorchen und er mustert die einsehbare Umgebung. Dabei fällt ihm das Auto mit der geöffneten Kofferraumklappe in dem Hof gegenüber auf. Die Entführung selbst beobachtet er nicht; sieht nur, wie der Fahrer »etwas Gelbes« einlädt. Erst als das Auto eine Runde ums Karree dreht, um dann stadtauswärts auf der Leipziger Straße davonzufahren, wundert sich der Mann. Warum ist der Fahrer von der Hofeinfahrt aus nicht gleich auf die benachbarte Leipziger Straße abgebogen? Er merkt sich den Autotyp – es ist ein Fiat Tempra –, die Farbe und Teile des Kennzeichens.
    Inzwischen macht Aylas Mutter sich auf den Weg, ihrer Tochter die Turnschuhe zu bringen. Sie sieht, dass es regnet und nimmt auch gleich noch das Regencape mit. In der Hofeinfahrt, direkt vor der Haustür, findet sie eine Sandalette von Ayla und hebt sie auf. Wundert sich. Wie kann das Kind bei Regen mit nur einem Schuh in die Schule gegangen sein? Sie beginnt zu laufen.
    In der Schule stellt sich heraus, dass Ayla dort nie angekommen ist. Die Mutter ruft die Notrufnummer der Polizei.
    Die Freie Presse zeigt einen Tag später ein Foto des Autos, das am Nordplatz gesehen wurde. Ein Zeuge hat Teile des Kennzeichens erkannt: »Z-K…«. Außerdem ist ein markantes Merkmal aufgefallen, an den beiden hinteren Seitenscheiben des Fiat Tempra sind Sonnenschutzblenden befestigt, auf denen der Bär Winnie Puh abgebildet ist.
    Ein vermeintlicher Täter wird noch am Entführungstag festgenommen. Durch die detaillierten Zeugenaussagen kann die Polizei sehr schnell den Halter des Fiat Tempra ausfindig machen, den Halter des Wagens, in dessen Kofferraum Ayla am Morgen verfrachtet wurde. Es ist Mario L.
    Noch weiß niemand, was mit Ayla geschehen ist, wo sie sich befindet, was ihr angetan wurde, ob sie noch lebt.

»Ich möcht spüren, wie es ist,
wenn man einen umbringt …«
. (Herbert Grönemeyer im Lied »Kino«) .
    Mario L. ist ein unauffälliges Kind. Er hat zwei Brüder. Laut Aussagen seiner Mutter im Prozess, sei er ein »lieber Junge« gewesen. An Auffälligkeiten in seiner Kindheit kann oder will sie sich nicht erinnern. Mario L. verlässt die Schule nach der achten Klasse.
    Im Vernehmungsprotokoll vom Mai beteuert die Mutter, dass Mario in seiner Jugend oft mit Freunden ausgegangen sei, im November, vor Gericht ändert sie plötzlich ihre Angaben. Nun war Mario fast immer daheim, Freunde habe er nicht gehabt, seine Lieblingsbeschäftigung seien Bastelarbeiten gewesen.
    Der Junge lernt Fliesenleger: »Er liebte seine Arbeit, war immer pünktlich und fleißig«, so die Mutter.
    Und dann ersticht dieser »liebe Junge«, der so arbeitsam und akkurat ist, am 6. Juni 1985 – da ist er gerade mal 17 Jahre alt – scheinbar aus heiterem Himmel nahe Schneeberg im Erzgebirge eine 78-Jährige.
    L. hatte der Rentnerin am helllichten Tag aufgelauert und sie dann niedergestochen. Er fügt ihr eine tödliche Halsverletzung zu. Die Rechtsmediziner stellen im Halsbereich eine »dreizehn Zentimeter breite und achteinhalb Zentimeter lange Wunde« fest. Der Hals ist fast bis auf die Wirbelsäule durchtrennt, somit auch Luftröhre, Speiseröhre und Halsschlagadern. Brustbereich und Arme der alten Frau sind von tiefen Einstichen übersät – Abwehrverletzungen.
    L. kommt vor Gericht. Seine Äußerungen sind widersprüchlich. Als Kind habe er gern mit seinem Großvater gemeinsam die Kaninchen geschlachtet. Zeugen der damaligen Verhandlung erinnern sich, dass er äußerte, er habe »nur mal sehen« wollen, »wie es ist, wenn ein Mensch stirbt«.
    Im Prozess verteidigt er sich, er habe die alte Frau nur »erschrecken« wollen. Solch einen Spaß erlaube er sich auch hin und wieder mit Freunden oder Verwandten. Der Mord sei nur deshalb geschehen, weil die Frau geschrien habe. Das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) verurteilt ihn zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Die Richter attestieren L. außergewöhnliche

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