Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
und ihre Leichen abgelegt hatte.
Zum Abschluss der Befragung stellt der Vorsitzende Richter dem Polizisten eine vielsagende Frage: »Sind fünf das Maximum, oder sind es mehr?«
Der Beamte überlegt eine Weile, zögert. Dann verneint er.
Nun ist Anke S., dritte Ehefrau von Egidius S., dran. Seit Wochen macht die Frau in den Medien damit Schlagzeilen, dass sie die Sadomaso-Praktiken im Hause S. bis ins Detail schildert, sie erzählt vom Folterkeller, lässt sich dabei in Lack und Leder und mit Domina-Utensilien ablichten – nichts scheint ihr peinlich genug, um es nicht zu inszenieren. Denkt sie dabei manchmal auch an ihren elfjährigen Sohn? Ist es nicht schon schlimm genug, dass sein Vater als »Würger von Aachen« verhaftet wurde?
Anke S. hat die Aussagen des Ermittlers vom Morgen nicht gehört. Vielleicht wäre ihr dann aufgegangen, dass ihr Mann Dinge weiß, die nur der Täter wissen kann, auch wenn er sein Geständnis im Nachhinein widerrufen hat.
Aber Anke S. glaubt ihrem Mann. Er habe sie »noch nie belogen«, teilt sie dem Gericht mit. Egidius habe ihr wortwörtlich gesagt: »Ich war es nicht«, und das reiche ihr. Dann schaut sie siegessicher in die Runde und setzt hinzu »Ich sage das, auch wenn es dem Staatsanwalt nicht gefällt!« Die Menschen im Gerichtssaal sind sprachlos.
In ihrer Aussage wiederholt die 42-jährige Hausfrau detailgetreu das, was sie bereits in Zeitungen und Fernsehsendungen ausgebreitet hat. Ihr Mann habe masochistische Neigungen. Für die Sexspielchen habe man sich ein Kellerstudio eingerichtet. Er liebe es, Sklave zu sein und sie habe ihn gern ausgepeitscht und anderweitig gequält, teils bis er ohnmächtig geworden sei. Ihren Mann errege es, wenn er gequält werde, wenn er sich unterlegen fühle, wenn er unter Druck geriete. Dabei schaut sie zu ihrem Mann, der den Schilderungen ohne eine Regung folgt.
Leider habe sie ihn nach dem Umzug in die Hartz IV-Wohnung nicht mehr angemessen behandeln können. Der Platz reichte nicht für einen separaten Folterraum, zudem habe der Sohn sie hören können. Egidius S. fehlten die Demütigungen. Und das – so Anke S. – sei auch der Grund, warum Egidius die Morde gestanden hat. Er habe sich damit Befriedigung verschaffen wollen. Aber jetzt sei »Schluss mit dem Mist«. Sie erntet Kopfschütteln und angewiderte Gesichter.
Der Richter versucht es dennoch, fragt die Ehefrau, ob es sie denn gar nicht stutzig mache, dass Egidius’ Sperma im Körper eines der Opfer gefunden worden sei? Sie antwortet dreist, er habe eben Sex mit dem Mädchen gehabt, das sei ja nichts Schlimmes und ihres Wissens sei es nicht üblich, jemanden nach dem Sex umzubringen.
Die Sprachlosigkeit löst sich. »So etwas Niveauloses habe ich seit Jahrzehnten nicht gehört«, entgegnet der Oberstaatsanwalt der Frau.
Auch der Vorsitzende Richter äußert sich: »Sie hätten vielleicht besser doch nicht ausgesagt.«
Hat Anke S. ihrem Mann mit ihrer Aussage genützt? Wie sich an diesem Tag schon deutlich abzeichnet, hat sie ihm eher Schaden zugefügt, aber das endgültige Urteil wird noch lange auf sich warten lassen, auch wenn der Vorsitzende Richter ursprünglich den 26. Mai als Schlusstermin zur Urteilsverkündung anberaumt hat.
7. Prozesstag: Montag, 5. Mai 2008
Der 5. Mai ist ein wunderbarer Sommertag. Kein Wölkchen trübt den Himmel, die Sonne scheint 14 Stunden am Tag ohne Unterlass und gegen Mittag steigt die Temperatur in Aachen im Schatten auf 23 Grad. In den Tagen bis Mitte Mai wird die Quecksilbersäule weiter ansteigen und den Menschen warme 26 bis 28 Grad bescheren. Im Landgericht jedoch ist von der Sonne nicht viel zu spüren. An diesem Montag hat das Gericht Zeugen aus den Reihen der Polizei und den DNA-Gutachter vom Landeskriminalamt vorgeladen.
Zuerst befragt das Gericht die beiden Polizisten, die die ersten Vernehmungen des Egidius S. durchführten.
Noch am Abend des 16. Augusts 2007, dem Tag der Festnahme, gesteht Egidius S., die 17-jährige Angelika S. ermordet zu haben. Die Vernehmer haben absichtlich zuerst das dritte Opfer zum Thema gemacht, weil bei dem Mädchen der eindeutige genetische Fingerabdruck von S. gefunden worden war und sie davon ausgehen, dass diese Tatsache ihn am ehesten zu einem Geständnis bringen würde. Und es funktioniert. Am gleichen Abend gibt er auch den Mord an Sabine N. zu. Erst jetzt scheint dem Verdächtigen aufzugehen, was er hier gerade tut, doch wie einer der vernehmenden Beamten vor Gericht schildert,
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