Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Hochzeit habe sich ihr Mann stark gewandelt, erklärt Beate S. »Er hatte zwei Gesichter.« Die Ehe habe nicht lange gehalten, bereits nach 15 Monaten habe sie ihn über Nacht verlassen.
S.’ häusliches Auftreten sei »aggressiv und brutal«, sie seine Sklavin gewesen. Beim Sex habe sie einen Knebel in den Mund nehmen müssen. S. habe sie des Öfteren gezwungen, ein mit Nieten besetztes Mieder und Lackstiefel zu tragen, habe auch den Geschlechtsverkehr erzwungen. Es waren mindestens 20 bis 30 Vergewaltigungen, so die Exfrau. »Ich bin gedemütigt worden«, sagt sie, S. habe, wenn sie nicht gehorchte, rohe Gewalt angewendet, ihr dabei Blessuren an Hals und Armen beigebracht. Des Öfteren habe sie die blauen Flecken mit entsprechender Kleidung überdecken müssen. Einmal, so berichtet sie dem Gericht, habe sie sich vor ihm ins Bad geflüchtet, woraufhin Egidius die Tür eingetreten habe. Die Aussagen der ersten Ehefrau sprechen nicht gerade dafür, dass Egidius S. eine masochistische Veranlagung hat. In seiner ersten Ehe hat er eindeutig den dominanten, aggressiven Part innegehabt.
Die nicht einmal zwei Ehejahre seien eine »grauenvolle Zeit« gewesen, sagt die erste Ehefrau aus. Nach der Scheidung hat Beate S. alle Erinnerungen getilgt, hat die Heiratsurkunde, das Familienbuch und die Fotos vernichtet; nichts sollte sie mehr an das schreckliche Zusammenleben mit Egidius erinnern. Doch die Erinnerungen in Beate S.’ Kopf lassen sich nicht einfach so löschen.
Die zweite Ehefrau wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Sie möchte nicht mit dem Mörder in Verbindung gebracht werden. Doris S. war von 1982 bis 1995 mit dem Angeklagten verheiratet, genau in dem Zeitraum, in dem er die Morde begangen hat.
Nach ihren Aussagen war Egidius S. nicht sonderlich dominant. Stattdessen habe sie ihn auspeitschen müssen, was ihr zuwider gewesen sei. Ein ehemaliger »guter Freund« wird gehört. Egi dius sei »sympathisch und zuverlässig« und »eigentlich ein netter Kerl.« Der Freund hat auch das S/M-Studio gesehen. Ja, er hat sogar auf Egidius’ Wunsch ein Dokument über die sexuellen Praktiken aufgesetzt, in der das Ehepaar die Freiwilligkeit der sexuellen Praktiken dokumentiert: »falls etwas passiert«.
Der Verteidiger wertet die Aussagen der zweiten Ehefrau als positiv für seinen Mandanten. Sie habe dessen masochistische Neigungen bestätigt. Davon einmal abgesehen, sei Egidius S. ein »liebevoller und verständnisvoller Ehemann« gewesen. Für ihn sei wichtig, dass sein Mandant in dieser Ehe die »Rolle des Unterwürfigen«, gespielt habe. Der Anwalt bemerkt gar nicht, was er damit eigentlich ausdrückt: Egidius S. schlüpft in Rollen. Er spielt den Sklaven nur, ist es nicht wirklich.
Die Darstellungen der Zeugen sind insgesamt widersprüchlich. S. hört regungslos zu, verzieht keine Miene, kritzelt auf einem vor ihm liegenden Blatt herum. Nur einmal huscht ein kleines Lächeln über sein feistes Gesicht. Es erscheint zu dem Zeitpunkt, als seine 22-jährige Stieftochter die Aussage verweigert. Warum grinst er? Niemand weiß das.
Egidius S. hat schon einmal im Gefängnis gesessen, in Untersuchungshaft, wegen Betruges. Hat ihm das gefallen? Liebt er es, sich bestrafen zu lassen? Ein ehemaliger Kollege, der S. dort besucht hat, berichtet anderes: »Ich hatte nicht das Gefühl, dass er Spaß daran hatte.«
3. Prozesstag: Montag, 21. April 2008
Ein wunderbarer Frühlingstag bricht in Aachen an, ein Tag, an dem die Sonne fast zehn Stunden ununterbrochen scheinen und es mittags schon fast 20 Grad warm werden wird. Die Menschen im Schwurgerichtssaal in Aachen kümmert das jedoch nicht. Heute wird der Prozess gegen den »Würger von Aachen« fortgesetzt, heute sind Zeugenvernehmungen zu den ersten beiden Morden geplant.
Die Angehörigen sitzen Egidius S. fast die ganze Zeit direkt gegenüber – sie müssen sein regungsloses Gesicht sehen, müssen seine Ausflüchte hören und die abstrusen Theorien des Verteidigers. Vieles ist schwer zu ertragen.
Zuerst geht es um den Mord an Marion G., die im Sommer 1983 bei Alsdorf nahe der Ottenfelder Allee gefunden wurde – halbnackt, in einem Gebüsch, erdrosselt. Noch einmal kommen die schrecklichen Details zur Sprache. Noch einmal müssen die Zuhörer im Gerichtssaal sich vorstellen, wie stark Marion G. sich gewehrt hat, so stark, dass die Windschutzscheibe im Auto des Täters dabei zu Bruch ging. Die Splitter, die auf dem Körper der Toten gefunden wurden, spielten
Weitere Kostenlose Bücher