Dem Leben Richtung geben
auch an manches. Wissen Sie, wie manche indischen Volksstämme Arbeitselefanten erziehen? Das junge Tier wird mit einer schweren Kette an einen Betonblock gekettet, und man legt appetitliches Futter gerade außerhalb seiner Reichweite auf den Boden. Der hungrige Elefant versucht natürlich, dieses Futter zu erreichen, und zerrt an der Kette. Die Kette schneidet ihm ins Fleisch, verursacht eine immer größere Wunde und immer größeren Schmerz. Nach einiger Zeit können Sie den ausgewachsenen Elefanten dann statt mit der Kette und Beton mit einem einfachen Strick an einem in den Boden gesteckten Stock anbinden, und er wird nicht einmal mehr daran denken zu entkommen.
Vielleicht hat eine bestimmte Tätigkeit Ihren Eltern Spaß gemacht, und sie glaubten, Ihnen würde es irgendwann genauso gehen. Doch auch wenn dies nicht der Fall ist, bleiben wir dem Vertrauten treu. Das ist kein Widerspruch zu den Workshops, durch die Sie sich bereits gearbeitet haben. Gewiss sind Sie durch Ihre Vorfahren stark geprägt, doch eine Prägung darf sich nicht zum Korsett entwickeln. Tun Sie Dinge nicht nur, weil diese in Ihrer Kindheit Anerkennung fanden. Wo es nötig ist, befreien Sie sich von den Vorgaben, die Ihnen Ihre Erzieher gemacht haben.
Unterschätzen wir nicht, welche Werte uns von zu Hause mitgegeben wurden. Wer in einem landwirtschaftlichen Umfeld groß geworden ist, wird vielleicht sein Leben lang Schwierigkeiten mit geistiger Arbeit haben. Denn auf dem Bauernhof ging es darum, |96| anzupacken, Hand anzulegen, die Wiese zu mähen, die Kühe zu melken. Der Griff zur Zeitung oder zum Buch galt als Luxus, den man sich allenfalls in den Wintermonaten leistete. Selbstverständlich findet sich auch das Umgekehrte. Die Professorentochter, die in jungen Jahren ständig zum Sprachenlernen und Bücherlesen angehalten wurde, tut sich mit praktischer und körperlicher Arbeit schwer, selbst wenn sie vielleicht großes Interesse daran hätte. Befreien Sie sich von dieser Erblast, wenn Sie fühlen, dass Sie für Tätigkeiten geschaffen sind, denen Sie sich bislang aus biografischen oder anderen Gründen verschlossen haben.
Was machen Sie gerne? Was bringt Ihre Augen zum Leuchten? Wir besitzen eine Fülle von Fähigkeiten. Paul Ch. Donders und Michaela Kast, die das Konzept der
Kreativen Lebensplanung
entwickelt haben, teilen diese in vier Gruppen:
Fähigkeiten im Umgang mit Menschen
Fähigkeiten im Umgang mit Informationen
Fähigkeiten im Umgang mit Materialien
Fähigkeiten im Umgang mit Kreativität
|97| Jeder Mensch sollte mindestens 10 Prozent seiner Zeit im Bereich seiner Motivationsfaktoren tätig sein. Dies wäre genug Motivation für 100 Prozent Ihres Schaffens. Je mehr Ihr Berufsbild mit Ihren Motivationsfaktoren übereinstimmt, desto besser. Ich verbringe mindestens 60 Prozent meiner Tätigkeit im Bereich meiner Motivationsfaktoren. Das tut gut!
Bei einer Beratung in einem österreichischen Kloster kam eine etwa 80-jährige Nonne auf mich zu und sagte: »Sie haben ja so Recht mit dieser Dynamik!« Bis vor zehn Jahren war sie die Leiterin einer Großküche gewesen. Von einem Tag auf den anderen beschloss die Verwaltung, dass sie für diesen Job nun zu alt sei, und sie wurde ins Altersheim des Ordens verbannt, wo sie sich versorgen lassen sollte. Innerhalb von acht Wochen wurde sie sterbenskrank. Eine kluge neue Chefin ermöglichte ihr in dieser Situation, mehrmals in der Woche für ihre Mitschwestern zu kochen, und sie blühte wieder auf. Natürlich wirkten hier mehrere Dynamiken, aber unter anderem auch die der Motivation. Diese Schwester ist wahrlich kein Einzelfall!
Ist es nicht so, dass wir durch unser System der Zwangspensionierung Menschen von heute auf morgen etwas Fundamentales aus ihrem Leben wegnehmen? Unsere Gesellschaft hat ein eher geringschätziges Bild von alten Menschen, weshalb sich niemand gerne alt nennen lässt (inzwischen bestehen bereits 70-Jährige darauf, noch nicht alt zu sein). Das ist ein kulturelles Problem unserer westlichen Welt. Die amerikanische Psychologin Ellen J. Langer hat nachgewiesen, dass die chinesische Kultur eine ganz andere Sicht des Alters hat – mit dem Ergebnis, dass beispielsweise die Gedächtnisleistung älterer Chinesen von der anderer Altersgruppen kaum abweicht. In der europäisch-amerikanischen Kultur dagegen erwartet man förmlich, dass man im Alter vergesslich wird – und man wird es auch (das Problem echter Krankheiten wie Alzheimer soll hier unberücksichtigt
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